Birgit Eckardt Fachsprache als Kommunikationsbarriere? ~ Sprachwissenschaft Birgit Eckardt Fachsprache als Kommunikationsbarriere? Verstiindigungsprobleme zwischen Juristen und Laien Mit einem Geleitwort von HDoz. Dr. Christine Romer Deulscher Universilils-Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eckardt, Birgit: Fachsprache als Kommunikationsbarriere : Verstandigungsprobleme zwischen Juristen und Laien / Birgit Eckardt. Mit einem Geleitw. von Christine Romer. - Wiesbaden : DUV, Dt. Univ.-Verl., 2000 (DUV : Sprachwissenschaft) lugl.: Jena, Friedrich-Schiller-Univ., Diss. 1999 ISBN-13:978-3-8244-4399-4 e-ISBN-13:978-3-322-81264-3 001: 10.1007/978-3-322-81264-3 Aile Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000 Lektorat: Ute Wrasmann / Sebastian Hammelsbeck Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer. Das Werk einschliel3lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung aul3erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne lustimmung des Verlages unzu1.9ssi9 und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.duv.de Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser liel. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen. Dieses Buch ist deshalb auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Einschweil3folie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass sole he Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. ISBN-13:978-3-8244-4399-4 Geleitwort Jeder Sprachbenutzer hat es schon erlebt, daB er auf einern Gebiet, wo er Laie ist, mit Fachleuten kein richtiges Gesprach filhren konnte, well ihm der Jargon das Faches nicht bekannt war. Dies erkliiren sich dann viele mit dern stetig anwachsenden Fachwortschatz, der zur Kommunikationsbarriere wird. Birgit Eckardt beschii.ftigt sich irn vorliegenden Buch mit den Kommunikationsstorungen im Gesprlich tiber juristische Sachverhalte zwischen juristischen Fachleuten (Anwiilte und Richter) und Laien (Mandanten und Verfahrensparteien). Dies verlangt neben der linguistischen Fachkompetenz auch juristisches WJSSen und filhrt zwangslliufig zu einern interdiszipliniiren Ansatz, der neben sprachwissenschaftlichen und juristischen Aspekten auch psychologische und soziologische Erklarungsmodelle einbezieht. Das ermoglicht die empirischen Daten, die aus dern Ehescheidungsrecht herrOhren, eindrucksvoll zu durchdringen. Die Kommunikationsstorungen zwischen juristischen Laien und Fachleuten erweisen sich dabei in der Mehrzahl nicht als Storungen auf der Sachverhaltsebene sondern vie1mehr a1s solche, die auf der Beziehungsebene liegen. Sie sind oftmals nicht irn Fachwortschatz a1s solchen begrOndet. Wichtig ist auch, daB die Autorin nicht bei der Analyse stehenbleibt, sie unterbreitet auch eine Reihe von Vorschlagen, wie die aufgezeigten Mangel abgestellt werden konnen. Diese Vorschlage betreffen sowohl den Gesetzgeber als auch die Kommunikationsteilnehmer. Das vorliegende Buch wurde 1999 von der Philosophischen Fakultat der Friedrich-SchillerUniversitat Jena als Dissertation angenommen. Birgit Eckardt hat sich damit auch der UniversitiltsOffentlichkeit als eine kompetente WJSSenSChaftierin vorgestel1t, die ihre Ergebnisse, die sowohl fur die Iinguistisch a1s auch rechtswissenschaftlich interessierte Offentlichkeit relevant sind, ansprechend und anschaulich darzuste1len weill. Ich freue mich deshalb, diese Ergebnisse einer f1eilligen und begabten jungen Wissenschaftlerin einer breiteren Leserschaft ernpfehlen zu konnen. Christine Romer Vorwort Die interdiszipliniire Auseinandersetzung mit der juristischen Fachsprache ist fUr mich das Ergebnis meines wissenschaftlichen Werdeganges und des Einflusses meiner akademischen Lehrer in der Germanistik sowie in der Rechtswissenschaft. Mein besonderer Dank gilt daher HDoz Dr. Christine Romer, die mir die Moglichkeiten interdisziplinarer Arbeit erotfuet hat und mir mit ihrer bestli.tigenden Kritik jederzeit zur Seite stand. Bedanken m6chte ich mich auch bei Prof Dr. OlafWemer, der mir wichtige rechtswissenschaftliche Anregungen gab und mir insbesondere durch meine Tiitigkeit a1s wissenschaft\iche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl wesentIiche Einblick:e in die juristischen Arbeits- und Forschungsmethoden ermoglichte. Birgit Eckardt Inhaltsverzeichnis Abkiirrungsverzeichnis A. Einleitung 1. Gegenstand und Ziel der Arbeit II. Methodik B. Einftihrung in die Fachsprachenforschung 1. Fachsprache als Sprachbarriere II. Das Nachrichtenquadrat oder der "vierohrige"Emptanger III. Nichtverstehen und MiBverstehen sprachlicher A.uBerungen 1. MiBverstandnisse auf der gegenstandlichen Ebene 2. MiBverstiindnisse auf der intersubjektiven Ebene XII 1 1 2 5 8 10 11 13 14 C. Ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre 17 D. Die sprachliche Charakterisierung der Fachsprache des Rechts 21 1. Die historische Entwicklung der Fachsprachen 21 II. Linguistische Charakterisierung der Fachsprache des Rechts 1. Lexik 24 26 a) Lexikalische Merkmale der Fachsprache des Rechts b) Lexikalische Merkmale des Ehescheidungsrechts 2. Syntax und Morphologie 26 30 33 a) Syntaktische und morphologische Merkmale der Fachsprache des Rechts 33 b) Syntaktische und morphologische Merkmale des Ehescheidungsrechts 34 3. Pragmatik: Textsorten und Sti1istik a) Pragmatische Merkmale der Fachsprache des Rechts 36 36 b) Pragmatische Merkmale des Ehescheidungsrechts 37 4. Die Priifung der Rechtsformlichkeit von Gesetzentwiirfen durch das Bundesministerium der Justiz E. Der soziolinguistische Ansatz und die Varietiiten des Deutschen 1. Einfuhrung in die Sozio1inguistik 38 43 43 II. Das soziolinguistische Varietatenmodell von LoIDer 45 III. Einordnung def Fachspfache des Rechts in die Varietatenstruktur des Deutschen 46 x l. Funktiolekt 2. Mediolekt und Situolekt a) Gesprochene Sprache b) Geschriebene Sprache 3. Soziolekt 4. Anwendung des Lofflerschen Modells am Beispiel des Ehescheidungsrechts F. Das Familienrecht 1. Regelungsbereich II. Rechtsquellen III. Die historische Entwickiung des Familienrechts 1. Die historische Entwickiung des Eherechts 2. Das Eherecht in der DDR 3. Neue Tendenzen im Eherecht a) Das neue Familiennamensrechtsgesetz b) Die Neuordnung des EheschlieBungsrechts 4. Die historische Entwickiung des Kindschaftsrechts 5. Neue Tendenzen im Kindschaftsrecht 6. Die historische Entwickiung des Vormundschaftsrechts N. Die sprachliche Entwickiung des Familienrechts 1. Vom "unehelichen" zum ,,nichtehelichen" Kind 2. Von der "viiterlichen Gewalt" zur "elterlichen Sorge" G. Empirische Untersuchung zur Fachsprache des Rechts dargesteUt am Beispiel des Ehescheidungsrechts 1. Ubersicht iiber die wichtigsten Fachtermini des Ehescheidungsrechts im Vergleich zwischen Bundesrepublik und ehema\iger DDR II. Empirische Untersuchung der Fachsprache des Familienrechts 1. Rechtlicher Korpus und sprachwissenschaft1iche Methodik 2. Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten a) Soziologische Angaben b) Scheidungsvoraussetzungen c) Scheidungsfolgen 1 d) Scheidungsfolgen 2 3. Die Kommunikation im Scheidungsverfahren a) Die schriftliche gerichtliche Kommunikation b) Die miindliche Verhandlung 46 49 50 52 54 55 61 61 62 62 62 70 75 75 77 79 88 93 96 96 98 101 101 105 105 106 106 109 113 119 125 126 128 XI c) Die anwaltliche und die gerichtliche Kommunikation aus Sicht der Mandantenl Parteien 130 H. Sprachpflegerische Aspekte der Fachsprache des Rechts unter Beriicksichtigung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung 133 1. Die Kommunikation im Mediationsverfahren 1. Mediation als Konfliktlosungsverfahren 2. Grundsiitze und Ablauf der Mediation a) Die Mediation in der anwaltlichen Praxis b) Mediative Elemente im gerichtlichen Verfahren ll. Die Vermittlerposition des Anwalts ill. Die gerichtliche Kommunikation 133 133 135 136 139 141 145 J. Zusammenfassung und Ausblick 147 Literaturverzeichnis 149 Weitere verwendete Quellen Rechtsgrundlagen 155 156 Abkiirzungsverzeichnis a.F. alte Fassung Allgemeines Landrecht fur die PreuBischen Staaten Art. Artikel Bundesarbeitsgemeinschaft fur Familien-Mediation BAFM BGB Biirgerliches Gesetzbuch BGB-E BGB-Entwurf; bezeichnet die durch das Gesetz zur Neuordnung des EheschlieBungsrechts zu andemden Paragraphen des Biirgerlichen Gesetzbuches BGBI. Bundesgesetzblatt BR Bundesrat BT Bundestag BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts EGBGB Einfiihrungsgesetz zum Biirgerlichen Gesetzbuch EheG Ehegesetz 1. EheRG Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts f folgende (Seite) FamNamRG Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts FamRZ Zeitschrift fur das gesarnte Familienrecht if folgende (Seiten) FGB Familiengesetzbuch der DDR FNA Fundstellennachweis A FPR Familiel Partnerschaft/ Recht FuR Familie und Recht ALR GG i.d.F. i.S.d.! i.S.v. i.V.m. GVG JWG Grundgesetz in der Fassung im Sinne des! im Sinne von in Verbindung mit Gerichtsverfassungsgesetz der DDR Gesetz fur Iugendwohlfa1ut KRABI. n.F. NJW Rdnr. RGBI. Amtsblatt des Kontrollrats neue Fassung Neue Iuristische Wochenschrift Randnummer Reichsgesetzblatt StPO StraIProzeBordnung XIII u.U unter Umstiinden v.a. vor allern ZGB Zivilgesetzbuch der DDR ZPO ZivilprozeBordnung A. Einleitung L Gegenstand ond Ziel der Arbeit "Der Zaun, der Germanisten und Juristen in ihrer Arbeit voneinander trennt, ist hoch. Selten wagt es heute ein Gelehrter, sich mit Gegenstiinden zu beschiiftigen, fur die eine andere Fachwissenschaft als zustandig gilt. Dber diesem Takt, der in Wahrheitoft Feigheit ist, bleiben leicht Forschungsfelder unbearbeitet, auf denen bei gemeinsamer Arbeit viel zu emten ware"', so trefl'end beschreibt der Jurist Hans Hattenhauer das Dilemma des interdiszipliniiren (Nicht)zusammenarbeitens von Sprachund Rechtswissenschaft\em. Doch jeder Gartenzaun verfiigt auch iiber eine Gartentiir, durch die man wechselseitig das jeweilige Nachbargrundsruck betreten und sich darin urnschauen kann. Die vorliegende Arbeit soli aufZeigen, welchen Vorteil Germanisten und Juristen aus der Benutzung dieser Gartentiir und aus dem Betreten des Nachbargrundsruckes ziehen konnen. Eine fachiiber!:,'feifende Zusammenarbeit ist heute wichtiger denn je, denn die Rechtsordnung tangiert alle Lebensbereiche und hat eine besondere Beziehung zur Kommunikation und zur Sprache iiberhaupt. Nur mittels Sprache ist es moglich, bestimmte Rechtsnormen festzuschreiben. Dabei ist es unwesentlich, ob diese Rechtsnormen zum Privatrecht gehOren, das die Ausgesta1tung der Rechtsbeziehungen zwischen den Biirgem auf einer Ebene der G1eichordnung regelt, oder ob es sich urn offentlich rechtliche Normen handelt, die das Verhiiltnis des Staates und seiner Institutionen a1s Hoheitstrager zu den Biirgem im Rahmen eines Uber-I Unterordnungsverhiiltnisses regein. Wie jede Wissenschaft bedient sich auch die Rechtswissenschaft einer Fachsprache, die dem Laien nicht ohne weiteres zugiingIich ist. Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher eine niihere Untersuchung ausgesuchter Aspekte dieser Fachsprache und wer sprachIichen Besonderheiten sowohl in der miindlichen a1s auch in der schriftlichen Sprachverwendung: "Wiihrend sich die Fachsprachenforschung traditionellerweise eher mit morphologischen, syntaktischen und lexiko-sernantischen Aspekten des schriftIichen Fachsprachengebrauchs ... sowie deren EinfluB auf die sogenannte "Gemeinsprache" und nur sporadisch und unsystematisch mit dem miindIichen Fachsprachengebrauch beschaftigte, wird zunehmend eine Ausweitung des Gegenstands- und Forschungsbereichs gefordert .... Hiermit tritt die Untersuchung miindlicher Kommunikation wie auch die Beschiiftigung mit Verstiindigungsprozessen in miindlicher und schriftlicher Kommunikation in den Vordergrund. GemiiB der Unterscheidung zwischen fachintemer und fachextemer Kommunikation wird die Beriicksichtigung des sozialen Kontextes bei der Analyse und Kritik fachsprachlicher Texte hinsichtlich ihre "SchwerverstandIichkeit" verlangt. ,,2 Hattenhauer, R: Denkfehler zeigen sich in Stilfehlem Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 286 yom 8.12.1995. 2 Sclling, M.: Verstandiguogsprobleme. Tiibingen 1987. S. 20. 2 Die Arbeit soIl weiterhin dazu beitragen, bestehende Vorurteile gegeniiber berechtigter Sprachkritik abzubauen, denn "Sprachkritik ist nicht, wie viele glauben, ein Akt der SchuImeisterei oder einer iisthetischen Rhetorik, die den schOnen Ausdruck verlangt, sondern der Versuch, Verstandlichkeit durchzusetzen. Eine wahrhaft simple Forderung, bis zu deren Erfi.illung jedoch ganze Berge von Verschleierungen, Vorurteilen und Beschwichtigungen abzutragen sind."3 1m Mittelpunkt steht dabei der Schltisselbegri£f "Verstandigung". Betrachtet wird die Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien tiber rechtIiche Sachverhalte und dabei auftretende Kommunikationsschwierigkeiten, die zu einer gestorten Verstiindigung fuhren konnen. Gegenstand der Untersuchung sind die sprachlichen und auBersprachlichen Faktoren, die das Auftreten von Verstandigungsproblemen beeinflussen sowie Moglichkeiten zur Minirnierung dieser Kommunikationsstorungen. Aus Sicht von Juristen stellt sich die Situation folgendermaBen dar: "Es giibe zwar eine Verstandigungsbarriere beijuristischen Texten, die sich auch in sprachlichen Besonderheiten zeige. Sie sei aber in Gesetzestexten nicht besonders groB .... Soweit eine Barriere vorhanden se~ beruhe diese eher auf der Fachterminologie a1s aufBesonderheiten in der Syntax. Ein entscheidender Abbau der Barriere sei dariiberhinaus letztIich wegen der Unverzichtbarkeit der Terminologie und der nur marginalen Rolle der Satz- und Textkonstruktion nicht moglich. Er sei auch nicht notig, weil die Juristen weder mit der Terminologie der Texte noch mit deren komplizierten Konstruktionen Schwierigkeiten hatten. AuBenstehende aber seien in KontliktfaIlen ohnehin auf einen Anwalt a1s Vermittler angewiesen, der neben dem rein rechtlichen Bereich auch das fachsprachliche Unvermogen von Angeklagten oder Rechtsuchenden ausgleichen konne.'" Auch dieses Meinungsbild wird einer kritischen Priifung unterzogen. ll. Methodik Die vorliegende Arbeit ist interdiszipliniir angelegt und enthillt deshalb sowohl sprachwissenschaflliche a1s auch rechtswissenschaft1iche Aspekte. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der sprachwissenschaft1ichen Analyse der Fachsprache des Rechts, rechtswissenschaft1iche Aspekte erganzen diese Untersuchung. 5 Dabei bezieht sich die Analyse rechtssprachlicher Strukturen auf den Bereich des Familienrechts. Diese Auswahl begriindet sich folgendermaBen: Gerade das Familienrecht hat vielfaltige Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Starker a1s in anderen Bereichen des Rechts tangiert diese Rechtsmaterie den Laien und zwingt fun zur Auseinandersetzung, die oft nur durch die fachsprachliche Vermittlung des Anwaltes erfolgen kann. Der nicht zu unterschatzende EinfluB des Familienrechts auf die Privatsphiire des einzelnen fuhrt dazu, daB sich gerade in diesem Bereich 4 Heckmann, H.: Pliidoyer fiir eine biirgemahe Gesetzessprache. In: Der offentIiche Sprachgebrauch. Slultgllrl 198I.S.II. Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. In: Gcbrauchsliteratur - Inlerferenz - KontrastivitilL Frankfurt am Main, Bern 1982. S. 323. 3 die unterschiedlichen Kommunikationsebenen besonders gut beschreiben und naher untersuchen lassen. Dariiber hinaus unterliegt insbesondere das Familienrecht dUTCh verschiedene Refonnen im Kindschaftsrecht und im EheschlieBungsrecht einer Dynamik, die sich auch auf die sprachliche Entwicklung und auf das Kommunikationsverhalten auswirkt. Die Arbeit gliedert sich in vier Schwerpunktbereiche: Den ersten Bereich bildet die theoretische Untersuchung der sprachwissenschaftlichen Grundlagen der Fachsprachenforschung. Dazu gehOrt unter anderem die Problematik von Fachsprachen als Sprachbarrieren, die Analyse des Kommunikationsmodells von Friedemann Schulz von Thun unter Bemcksichtigung der Frage, wie Verstiindif,'llIlg reaIisiert wird und unter weIchen Voraussetzungen es zum Nichtverstehen oder Millverstehen von sprachlichen AuBerungen kommt. AuBerdem wird die Fachsprache des Rechts in Bezug aufLexik, Syntax und Morphologie sowie Pragmatik sprachlich charakterisiert und die so gewonnenen Merkmale auf den Teilbereich des Ehescheidungsrechts angewandt. Dieser erste Schwerpunkt wird durch die Analyse des soziolinguistischen Varietaten-Modells von Uiffler und dessen Anwendung auf das Ehescheidungsrecht abgerundet. Den zweiten Schwerpunkt bilden ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre insbesondere unter Beachtung der Auslegungsmethoden und Gesetze. Hinzu kommt ein historischer AbriB iiber die Entwicklung des Familienrechts mit den Teilbereichen Eherecht, Kindschaftsrecht und Vonnundschaftsrecht. Dabei wird insbesondere auch die Entwicklung dieses Rechtsgebietes in der ehemaligen DDR, soweit dies fur den Fortgang der Untersuchung von Relevanz ist, betrachtet. Der zweite Schwerpunktbereich wird dUTCh eine DarsteUung der neuesten Tendenzen und Refonnbestrebungen im Familienrecht sowie dUTCh eine Analyse der sprachlichen Entwicklung dieses Rechtsgebietes an zwei ausgewiihlten Beispielen ergiinzt. Der dritte Themenschwerpunkt und Hauptteil der Arbeit ist die empirische Untersuchung der Fachsprache des Rechts am Beispiel des Ehescheidungsrechts. In diesem Teil werden die zuvor theoretisch analysierten sprach- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den empirisch gewonnenen Daten aus dem Bereich der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten sowie der gerichtlichen Kommunikation verglichen und auf ihre Anwendbarkeit auf das Ehescheidungsrecht hin iiberpmft. Aus den Ergebnissen dieser empirischen Untersuchung leitet sich der letzte Themenschwerpunkt ab, der die sprachpflegerischen Aspekte der Fachsprache des Rechts urnfaBt. In diesem Teil wird unter Bemcksichtigung der erlangten theoretischen und empirischen Ergebnisse eine Anwort auf die Frage gegeben, weIche sprachlichen Ansiitze denkbar sind, urn im Bereich des Ehescheidungsrechts zukiinftig Kommunikationsst6rungen zu verringem oder ganz zu venneiden. 5 Insowcil richtet sich auch die Zilierweise der verwendeteu Literatur nnch den fur die Germauislik cmpfohlcncn Krilerien. B. Einfiihrung in die Fachspracbenforscbung Die modeme Fachsprachenforschung ist eine jiingere TeildiszipJin der Linguistik, die zu Beginn der dreiBiger Jahre in das Blickfeld der Forschung geriet. Am Beginn steht die Dissertation Eugen Wiisters, "die die modeme Terminologiefurschung begriindete und die wohl auch mit dazu beigetragen haben diirfte, dass lange Fachsprache iiberhaupt weitgehend mit Terminologie gleichgesetzt wurde."" Die Terminologieforschung wurde in dem MaBe notwendig, wie sich die Bediirfuisse der modemen Naturwissenschaften und der industriellen Technik weiterentwickelten. In den vierziger Jahren stagnierte die Fachsprachenforschung, und erst "die zunehrnende internationale Verflechtung und die Ausweitung des Welthande1s in den fiinfziger und sechziger Jahren brachten es dann mit sich, dass filchsprachliche Fremdsprachenkenntnisse in vielen Bereichen unerliiBlich wurden. Zugleich erhOhte sich der Bedarf an Ubersetzungen filchsprachlicher Texte, und das Bediirfuis, Fachsprachendidaktik und filchsprachliche Ubersetzung auf eine wissenschaft1iche Grundlage zu stellen, diirfte zu den wichtigsten Triebkraften zu ziih1en sein, die den Aufschwung mit herbeifiihrten, den die Fachsprachenforschung damals nahrn.,,7 Diese Entwicklung wurde unterstiitzt durch die Abwendung der Sprachwissenschaft von der "primiir historisch-diachronisch orientierten Betrachtung von Sprache" und einem wachsenden Interesse an einer "synchronisch angelegten Erforschung der Gegenwartssprache, wobei natiirlich die Fachsprache nicht ausgespart werden konnte".8 In den siebziger Jahren war die fachsprachliche Forschung dann soweit gediehen, daB die ersten Gesamtdarstellungen publiziert wurden, auf die sich die wissenschaft1ichen Untersuchungen stiitzen konnten: Weitere fachsprachliche Forschungsgebiete sollen an dieser Stelle nur kurz erwalmt werden, da sie fur die vorliegende Arbeit eine untergeordnete Rolle spielen. Ausgehend von unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen werden verschiedene filchsprachliche Fragestellungen ana1ysiert, wie beispielsweise die Bemiihungen urn eine wissenschaft1iche Grundlegung der Terminologielehre oder Frequenzuntersuchungen zum Wortschatz in fachsprachlichen Texten sowie Arbeiten zur Gestaltung zwei- und mehrsprachiger Worterbiicher. Unverkennbar ist auch, daB sich die Fachsprachenforschung auf textuelle sti1istische Eigenschaften ausgedehnt hat. Viele fachsprachliche Arbeiten der letzten 25 Jahre bemiihen sich urn eine Wesensbestinnnung von Fachsprache und versuchen, eine Abgrenzung zwischen Fach- und Allgemeinsprache vorzunehrnen. Diesen Definitionsversuchen ist gemeinsam, daB sie meist widerspruchlich, verwirrend und unzuliinglich sind. So konstatiert Hartmann: ,,Immer wieder wird in einschliigigen Arbeiten darauf hingewiesen, daB zwei so grundlegende Fragen wie einrna1 die Abgrenzung zwischen Fach- und Ge6 7 8 9 Rossenbeck, K: Zwn Stand der FachsprachenforNchung. Germanist.isches Bulletin (1984) H.7, S. 65. Rossenbeck, K: Zum Stand der Fachsprachenforschung. S. 66. Rossenbeck, K: Zwn Stand der Fachsprachenforschung. S. 66. So z.B. Fluck, H.-R: Fachsprachen. 4. Aufl. Tiibingen 1991. 6 meinsprache und zum anderen eine niihere Iinguistische Charakterisierung von Gemeinsprache nicht gelost sind. Dieses Defizit betriffi: aber nicht nur die notwendige Gegenstandsbestimmung auf der sprachtheoretischen Ebene, sondem auch die Abgrenzung des Gegenstandsbereichs seIber und zwar so, daB dieser fur empirische Arbeiten zuganglich ist."'o Ein zentrales Problem der Definition von Allgemeinsprache besteht darin, daB dieser Begriff meist in der Ausgrenzung aIles AuBerfachsprachlichem quasi als Sammel- und Restkategorie dieses nichtfachsprachlichen Bereichs verwendet wird." Demnach ist unter Allgemeinsprache der Kembereich einer Sprache zu verstehen, an dem aile Mitglieder der Sprachgemeinschaft teilhaben.12 Abgrenzend dazu wird Fachsprache wie folgt definiert: ,,Jede Sprache umfaBt auBer dem aIlgemeinsprachigen Kern viele Teilsprachen, die jeweils nur einem kleinen Teil der Sprachgemeinschaft geliiufig sind. Teilsprachen sind entweder Fachsprachen oder Sondersprachen. Eine Fachsprache ergiinzt die Allgemeinsprache durch zusiitzliche Begriffe und ihre Benennungen.,,13 Die letztgenannte Definition verweist dartiber hinaus auf ein weiteres Problem, die Reduzierung der Fachsprache auf ihre spezielle Terminologie. Dieser kurze Einblick soli genugen, urn zu zeigen, daB aIlein die Gegenuberstellung der zwei nicht eindeutig definierten Begriffe Fachsprache und Allgemeinsprache fur eine gezielte fachsprachliche Untersuchung nicht ausreicht. Dobnig-Jiilch wendet deshalb zu Recht ein: ,,Bei kritischer Sicht ist Z.B. schon merkwiirdig, daB dem groBen, ungegliederten Block der deutschen Gemeinsprache so viele "Sprachen" ... gegeniiberstehen sollen."'4 Und Bolten spricht von einem "Unbehagen in der Linguistik" gegeniiber der "Sinnhaftigkeit der Bezeichnung Fachsprache"15: nEs bestehe inzwischen weitgehend Konsens, daB der Begriff Fachsprache allenfhlls heuristisch zu verwenden, sicherlich aber nicht als Terminus im Sinne der Fachsprachenforschung zu verstehen sei. Wahrend Wiister Fachsprache noch im Sinne eines terminologischen Additivs zur Gemeinsprache und damit als Teilsprache definieren konntel6, gOOen spiUestens diachronisch angelegte Untersuchungen zur Determinologisierung zu erkennen, daB eine eindeutige Grenzziehung zwischen Gemein- und Fachsprache nicht moglich sei."'? Dobnig-Jiilch fordert aufgrund dieser Schwierigkeiten, "daB ein bestimmtes MaB an MiBtrauen gegen Fachsprachendefinitionen mit weitreichendem Anspruch ange- 10 II 12 13 14 15 16 17 Hartmann, D.: Uber den Einflufl von Fachsprachen auf die Gemeinspracbe. Semantische und variationstheoretische Uberlegungen zu einem wenig erforschten Zusanuneohang. In: Fachsprachen und ihre Anwendung. Tiibingen 1980. S. 30r. Vgl. Hartmann, D.: Uber den Einflufl von Fachsprachen auf die Gemeinsprache. S. 31. Vgl. Drozd.. L.; Seibicke, W.: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. 1. Anfl. Wiesbaden 1973. Geleitworl S. VIII. Drozd.. L.; Seibicke, W.: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Geleitwort S. VIII. Dobnig-Jiilch. E.: Fachsprachenharrieren. S. 317. Bollen, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? Empirisch-pragmatische Grundlagen zur Bescbreibung der deulschen Wirtschafts-, Medizin- und Rechtssprache. In: Beitrllge zur Fachsprachenfurschung.Tostedl 1992. S.58. Vgl. dazu das zu Fuflnot.e 6 gehiirige Zitat Siehe Bolten, J.: ,,Facbsprache" oder "Sprachbereich"? S. 58. 7 bracht ist und die Versuche solcher Definitionen durcbaus mit nur intuitiv a1s fachsprachlich identifiziertem Material gepriift werden konnen".18 Sie schluBfoigert deshalb, "daB Fachsprache aIs generelies Phiinomen bei einem urnfassenden Verstlindnis von Sprache noch nicht hinreichend definiert werden kann"19. Trotz dieser Definitionssehwierigkeiten sollte der Begriff "Fachsprache" nicht aufgegeben werden. Es gibt verschiedene Fachbereiche in den WJSSenSChaften sowie auch unterschiedliche Berufe, die zu Besonderheiten in der Sprache fiihren und somit den Begriff ,,Fachsprache" determinieren. Insofem wird auch deutlich, daB es eine Vielzahl von Fachsprachen gibt, die an den jeweiligen Fachbereich oder Beruf gebunden sind. Verscharft wird die Problematik von AlIgemeinsprache und Fachsprache dadurch, daB bestimmte Fachsprachen, so auch die Sprache des Rechts, die AlIgemeinsprache immer stiirker durchdringen: ,,Die Feststellung, daB unser heutiges Deutsch in stiirkerem MaBe aIs friiher von den Fachsprachen mitbestimmt wire\, Ilillt sich fur die Lexik, die Syntax und gewisse Denkformen im einzelnen nachweisen. Exakte Daten fiber den GesamteinfluB oder die Zahl fachsprachlicher E1emente in der Gemeinsprache liegen aIlerdings nicht vor. Dieser Mangel hiingt mit der Schwierigkeit der Abgrenzung beider Realisationssysteme und ihrer Definition zusammen.... In vielen Einzelfii1len wird es deshalb umstritten bleiben, ob man nun ein Fachwort noch aIs speziaIsprachlich oder bereits a1s gemeinsprachlich, das heiBt a1s voll integriertes (aktiv und passiv) Element im gemeinsamen Zeichenvorrat ailer Sprachteilhaber, betrachtet.'ao Dec fachsprachliche EinfluB auf die AlIgemeinsprache zeigt sich im lexika1ischen Bereich vor aIlem durch einen sprunghaften Anstieg des Wortschatzes. A1s Multiplikatoren wirken verstiirk.t die Massenmedien, Fach- und Sachbiicher sowie die Wirtschaftswerbung. Fachsprachliche Lexik kommt besonders aus Bereichen, die den Biirger unmittelbar tangieren, wie Politik, WJrtschaft, Recht, Technik und WJSSenSChaft. Breiten Raum nimmt daneben auch der unmittelbare Arbeits- und Freizeitbereich ein. Der EinfI.uB fachsprachlicher Lexik kann zu Kommunikationsbarrieren fiihren, wenn ec zu einer ,,'Obersattigung des passiven Wortschatzes,al fi.ihrt: Das nur passiv rezipierte Wort Wird dann :fulsch oder ungenau gebraucht. Dadurch entsteht die Gefahr, daB die' allgemeine Spracbkompetenz eingeschriinkt wird und dadurch Manipulationen moglich werden. Deshalb wird die berechtigte Focderung nach einer Vermittlung zwischen Fach- und A1Igemeinsprache, also auch zwischen Fachleuten und Laien, immer lauter. Die vorliegende Arbeit soIl dazu einen Beitrag Ieisten. Eng verbunden mit dem Problem der Abgrenzung zwischen Fach- und AlIgemeinsprache bleibt die Frage nach der ,,horizontaIen Gliederung" von Fachsprachen, das heiBt, ob es eine Fachsprache an 18 Dobnig-Jillch, E.: Fachsprachenbarreren. S. 320. 19 Dobnig-Jillch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 320. 20 Fluck, H-R: Fachsprachen. S. 161. 21 Fluck, H-R: Fachsprachen. S. 42. 8 sich gibt oder ob verschiedene an gewisse Fachgebiete gebundene Fachsprachen existieren.22 Seit den sechziger Jahren treten ausgehend von der sogenannten Funktionalstilistik und einer kommunikationsorientierten Sichtweise weitere Fragestellungen hervor, "die als Ausgangspunkt die Kommunikation im Fach wahlen".23 So kommt es zur Bestimmung von ,,Funktionalstilen" und zur Untersuchung der "vertikalen Schichtung" von Fachsprache. Schrittweise wurde die isolierte Wortschatzbetrachtung zugunsten eines "aIle sprachlichen Erscheinungen umfassenden Ansatzes,a4 aufgehoben. Fiir die in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Fragestellungen bietet die gerrnanistische Soziolinguistik einen erfulgversprechenden Ansatz, der in den nii.chsten Kapiteln entwickelt und auf seine Anwendbarkeit beziiglich der Charakterisierung der Fachsprache des Rechts iiberpriift werden soil. Eng damit verbunden ist die Problematik der Fachsprachen als Sprachbarrieren, die in den folgenden Kapiteln untersucht wird. Ein sich anschlieBender kurzer historischer AbriB gibt Einblick in die geschichtliche Entwicklung der Fachsprachen. Es folgt eine sprachsystembezogene Erorterung des Begriffes ,,Fachsprache", die im Hinblick auffuchsprachliche Erscheinungsformen AufschluB iiber die innere Struktur der Fachsprache des Rechts geben soil. L Fachsprache aIs Sprachbarriere Ein wesentlicher Bereich der Fachsprachenforschung, der im Mittelpunkt insbesondere des empirischen Tells der vorliegenden Arbeit stehen soil, ist die Untersuchung von sogenannten Sprachbarrieren25 , die die Verstiindigung innerhalb kommunikativer Prozesse erschweren oder gii.nzlich verhindem. Dabei muB unterschieden werden zwischen Informationsbarrieren, kommunikativen Barrieren sowie Sprach- und Handlungsbarrieren. Die immer weitergehende Spezia\isierung innerhalb der einzelnen Fachsprachen fiihrt dazu, daB selbst Spezialisten ein und desselben Faches einander nicht verstehen (Informationsbarriere). Kommunikationsbameren treten immer dann auf; "wenn Fachsprachen in die gesamtgesellschaftliche Diskussion einflie13en, ihr Wissen aber nicht allgemein vermitteln,,26. Genau diese Situation findet sich in der kommunikativen Anwendung der Rechtssprache zwischen Fachleuten und Laien. Das Auftreten solcher Sprachbarrieren hat entweder ein Nichtverstehen oder ein Mi13verstehen des Kommunikationspartners zur Folge und zwar unter der Voraussetzung, daB 22 23 24 25 Vgl. Rossenbeck, K: Zum Stand der Fachsprachenforschung. S. 67. Miilm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. Tiibingen 1984. S. 2. Miilm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 2. Der BegriJI "Sprachbarriere" stammt urspriinglich aus der Kodetheorie Bemsteins. Daoach sollen Sprecher der sogenannten Unterschicht auf Grund der Verwendung eines restringierten Kodes iiber eingescbrilnkte sprachliche und kognitive Fiihigkeiten verfiigen, wodnrch ihr beruflicher oder sozia1er Anfstieg gehenunt oder blockiert 26 Fluck, H.-R: Fachsprachen. S. 39. wird 9 Verstandigung ganz a1lgemein immer dann vorliegt, "wenn der Rezipient eine ihm mitgeteilte Aussage so versteht, wie sie vom Kommunikator gemeint ist'<27. Urn das Auftreten von Sprach- und Handlungsbarrieren genau analysieren zu konnen, ist es notwendig, den ProzeB des Verstehens zu kennen: ,,Das Verstehen einer sprachlich vermittelten Aussage, also das Erkennen dessen, was mit einer sprachlichen AuBerung tatsiichlich gemeint ist, hiingt sowohl vom Erkennen des Bedeutungsgehaltes der sprachlichen Zeichen(folge), a1s auch von einer kommunikatorgerechten Interpretation der gesetzten Sprechakte28 abo Verstandigung zwischen zwei Gespriichspartnern setzt somit nicht nur eine Ubereinstimmung von Sprecher und Horer in bezug auf den semantischen Gehalt sowie die syntaktischen Kornbinationsmoglichkeiten sprachlicher Zeichen voraus; Verstandigung erfordert auch eine Einigung iiber den pragmatischen Verwendungssinn der jeweils geiiuBerten Zeichen bzw. Zeichenkornbinationen. Eine Verstandigung zwischen Sprecher und Horer erfordert also eine Begegnung auf zwei ,,Ebenen" der Kommunikation."29 Die beiden Ebenen sind in der Grafik dargestellt: Ebene der Gegenstiinde Ebene der Intersubjektivitat Verstandigung Gber den mitzuteilenden Verstandigung Gber den Typus des ge- Sachverhalt setzten Sprechaktes Tabclle 1 Verstandigung ist deshalb nur moglich, "wenn beide Kommunikationspartner irn Moment der Kommunikation in gleicher Weise beide Ebenen betreten".30 Erschwert wird die Verstandigung oft durch die eigentiimliche ,,Doppelstruktur umgangssprachlicher Kommunikation"31. Darunter ist zu verstehen, daB der eigentliche Sprechakt meist nur impliziter Bestandteil der sprachlichen .AuBerung ist: ,,Die Schwierigkeit im Hinblick auf die herzustellende Verstiindigung besteht nun darin, daB der vom Sprecher intendierte pragmatische Verwendungssinn einer Botschaft vom Horer auch dann erkannt werden muB, wenn er nicht in expli- Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. 3. iiberarb. AutI. Wien, KOln, Weimar 1998. S. 75. Die von Austin begriindete "Sprechakttheorie" basiert auf der Erkenntnis, daB das Sprecben einer Spracbe eine Form des menschlichen Handelns darstelh. Siehe dazu auch Hensinger, S.: Pragmalinguistik. Frankfurt am Main 1995. S. 15 f.. 29 Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 78. 30 Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. 79. 31 Habcrmas, 1.; Lulunann, N.: Vorbereitende Bemerlrungen zu einer Theorie der konmrunikativen Kompetenz. Frankfurt am Main 1971. S. 105. 27 28 10 ziter Form Bestandteil der jeweiligen sprachlichen AuBerung ist.,m Diese Interpretation erfolgt meist tiber den Kontext, in den die sprachliche AuBerung eingebettet ist. Eine wesentliche Rolle dabei spielt der sogenannte Beziehungsaspekt33 . Ausschlaggebend ist die soziale Position, in der der Kommunikationsteilnehmer in Erscheinung tritt. Diese soziale Position lost eine Erwartungshaltung des Gegentibers aus und aktiviert bei ibm gewisse Verhaltensmuster, von denen aus "das Verhalten des jeweiligen Interaktionspartners gedeutet werden kann'''4. II. Das Nachrichtenquadrat oder der "vierohrige" Empfiinger Einen iihnlichen, aber priizisierten und anschaulicheren Ansatz, der auch dem empirischen Teil dieser Arbeit zugrunde liegt, verfolgt Friedemann Schulz von Thun. Auch er geht davon aus, daB Kommunikation auf mehreren Ebenen stattfindet. Schulz von Thun kombiniert nun die Auffassung von Watzlawickl5 und Biihler6 und kommt so zurn nachstehenden Nachrichtenquadrat: Sachinhalt Selbstoffenbarung Nachricht Appell Beziehung Ein und dieselbe Nachricht enthiilt demzufolge mehrere Botschaften aufvier verschiedenen Ebenen, die in der folgenden Obersicht kurz erliiutert werden: 32 33 34 35 Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S. 80. Watzlawick fiihrt analog zu den schon genannten kommunikativen Ebenen einen Inhalts- Wld einen BeziehWlgsaSpekt ein. Der Inhaltsaspekt vennittelt die ''Daten''. Der BeziehWlgsaspekt erkliirt , wie diese Daten aufzufassen sind. Fiir den BeziebWlgsaspekt ist dabei wichtig, wie Sender WId Empflinger die BeziehWlg zwischen sich definiereIL Vgl. Watzlawick, P.; Beavin, HI; Jackson, D.O.: MenscWiche KommWlkatioIL Nachdr. der 8. Wlveliind Auf!. Bern, Stuttgart, Toronto 1993. S. 53 ff.. Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S. 81. Oer "Inhnltsaspekt" bei Watzlawick ist danach gleichbedeutend mit dem "Sachinhalt" des Schulz von 11lUnschen Modells. Der "BeziehWlgsaspekt" ist bei Watzlawick weiter definiert WId umfullt die "SelbstolIenbarung", die ''Beziehung" Wld den "Appell" im Schulz von ThWlSChen Modell. 11 Sachinhaltsebene Selbstoffenbarungsebene Beziehungsebene Appellebene Woriiber informiere ich? Was gebe ich selbst von mir kund? Was halte ich von meinem Kommunikationspartner und wie stehen wir zueinander? wozu mochte ich meinen Kommunikationspartner veranlassen? Tabellc 2 ffi. Nichtverstehen nnd Millverstehen sprachlicher Anllerungen Die eben ausgefiibrte Betrachtung des Nachrichtenquadrats beziehungsweise der vier Kommunikationsebenen wurde iiberwiegend aus Sicht des Senders dargestellt. Der kommunikationsfahige Sender rnuJ3 immer alle vier Ebenen beherrschen. Dominiert bei ihm nur eine der vier Ebenen, kann das zu KommunikationsstOrungen fuhren. Fiir den Empfanger gilt dasselbe. Urn angernessen kornrnunizieren zu konnen, rnuJ3 er die vier Ebenen beachten, er rnuJ3 quasi auf "vier Ohren"" horen konnen. Dabei hat er beziiglich seiner Reaktion die fide Auswahl, auf we\che der vier Ebenen der Nachricht er reagieren will. Diese freie Auswahl fiihrt dann zu Kommunikationsproblernen, "wenn der Ernpfanger auf eine Seite Bezug nimmt, auf die der Sender das Gewicht nicht legen wollte. Oder wenn der Ernpfanger iiberwiegend nur mit einern Ohr hbrt, und darnit taub ist (oder sich taub stellt) fur alle Botschaften, die sonst noch ankommen."38 Die Verstiindigung wird immer dann gestort, wenn gesendete und ernpfangene Nachricht nicht iibereinstimmen. Nach dern Schulz von Thunschen Modell ist das immer der Fall, wenn der Ernpfanger nicht iiber eine "ausgewogene Vierohrigkeit,,39 verfiigt. Dann kommt es zu Kommunikationsschwierigkeiten, wobei zwischen Nichtverstehen oder Millverstehen des Kommunikationspartners differenziert werden rnuJ3. Worin 36 37 38 39 Bubier unterscheidet "drei Aspekte der Sprache: "Darstellung" (= Sachinl13lt), "Ausdruck" ( = Selbstolrenharung) und "Appell". Vgl. BtihIer, K: Sprachtheorie. Ungekiirzter Neudrnck d Ansg. Jena, Fischer 1934. Stuttgart, New York 1982. S. 28 if.. Schulz von ThUll, F.: Miteinander reden 1. Reinbeck bei Hambnrg 1981. S. 44. Schnlzvon ThUll, F.: Miteianderreden 1. S. 46. Schulz von ThUll, F.: Miteinander reden 1. S. 46. 12 dabei die Unterschiede liegen, zeigt die folgende Ubersicht anhand des Burkartschen Modells der zwei Kommunikationsebenen:'o Gegenstiindliche Ebene Intersubjektive Ebene sprachliche AuBerungen werden die Nichtverstehen Kommunikationspartner verfGgen Gber unterschied- liche Zeichenvoll"iite nicht als solche erkannt; Unvermogen des Empfangers, sprachliche Manifestation die zu identifizieren die Kommunikationspartner verfGgen zwar grundsalzlich MiBverstehen Gber die gleichen Zeichenvorrate, verbinden aber damit unterschiedliche gen 8edeutun- die Kommunikationspartner interpretieren die geselzten Sprechakte unterschiedlich; d.h. der Harer erkennt den yom Sprecher intendierten pragmatischen Verwendungssinn der Aussage nicht Tabcllc 3 Die Ursachen fur die genannten Sprachbarrieren zu erlautem, fiillt fur den Bereich des Nichtverstehens verhiUtnismii/3ig leicht: ,,Einerseits fehlt ein MindestmaB an Deckungsgleichheit im Zeichenvorrat von Sprecher und Harer (= gegenstandliche Ebene). Sprache kann ihre kommunikative Funktion eben nicht erfullen, wenn der Sprecher Zeichen verwendet, iiber deren semantischen Gehalt der Horer nicht verfiigt.... Andererseits fehlen die Voraussetzungen, eine sprachliche Manifestation iiberhaupt als solche zu erkennen (= intersubjektive Ebene), sei dies nun aus mangelndem Wissen heraus (anderer Kulturkreis) oder infolge eines physischen Gebrechens (Storung des entsprechenden Rezeptionskana1s). «'I Im Bereichs des MiBverstehens sind die Erklarungsansatze weitaus komp1izierter und komplexer. Fraglich ist, warum trotz gleicher Zeichenvorrate beider Kommunikationspartner "Diiferenzen im Bereich der semantischen Zeichendimension auftreten; bzw. warum es trotz der Fahigkeit des 40 41 Vgl. auch Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S.84 f .. - In Anwendung des Schulz von TImnschcn Ansalzes enlsprichl dabei - wie schon im vorangegangenen Kapitel herausgearbeilet - die "gegeusllindliche Ebene" der "SachiulJaltsebene". Die "intersubjektive Ebene" umfiIJ}t die Schulz von Thunschen Ebcnen dcr "SclbstotIenbarung", der ''Beziehung'' sowie des "Appells". Burkart. R: KOIlUUunikationswissenschaft. S. 85 f.. 13 Horers, Sprechakte zu identifizieren, zu keiner kommunikatorgerechten Interpretation des pragmatischen Verwendungssinns der jeweiligen Aussage kommt"42. 1. MiBverstandnisse auf der gegenstandlichen Ebene Hier wird schwerpunktmlillig die Frage zu kliiren sein, wanun zwei Kommunikationspartner, die grundsiitzlich i.iber den gleichen Zeichenvorrat verfiigen, den sprachlichen Symbolen unterscbiedliche Bedeutungen zuordnen. Wichtig ist dabei der ProzeB der Bedeutungszuordnung, der bei zwei Kommunikationspartnem "im Moment des wechselseitigen Realisierens sprachlicher Symbole"43 beginnt. Dabei werden bei beiden Gespriichspartnem jeweils "subjektiv klassifizierte Umwelterfahrungen - d.h. aufgrund persOnlicher Erfabrung gebildete Begriffe"" in das BewuBtsein gerufen. Verstandigung ist aber nur dann moglich, "wenn das sprachliche Symbol im BewuBtsein beider Kommunikationspartner die gleichen Begriffiichkeiten wachrufen kann"45. Unterschieden werden muB in diesem Zusammenhang zwischen der ,,niiheren" und der "weiteren Umwelt" des Menschen: ,,Diese nahere Umwelt urnfaBt jeweils einen Teil bzw. jene Teilaspekte der Realitiit, der/die dem einzelnen Menschen in seinem Denken und/oder Handeln unmittelbar zugiingIich istlsind. Hier entsteht das Insgesarnt an persOnlichen Erfabrungen, die ein Mensch im Zuge der standigen Auseinandersetzung mit seiner Umgebung macht, bier bildet sich aber v.a. auch jene ganz spezifische (subjektive) Personlichkeitsstruktur aus, welche die Qualitiit der Selektion beim Wahrnehmen der Wirklichkeit bestimmt."46 In Abgrenzung zur naheren Umwelt steht die weitere Umwelt, "die allen Menschen in der jeweiligen Gesellschaft oder soziokulturellen Gruppierung gemeinsam ist, und von der ... die Bezeichnungen, also die (sprachlichen) Symbole bereitgestellt werden, mit denen jeder einzelne seine subjektiven Erfabrungen benennen und damit auch anderen Menschen zugiinglich machen (= mit anderen Menschen teilen) kann."47 Jeder der beiden Kommunikationspartner lebt zuerst in seiner naheren Umwelt. Das bedeutet, daB er Begriffe aktuaIisiert, die er infolge eigener subjektiver Erfabrungen gebildet hat. Die Bezeichnungen dafUr stammen jedoch aus der weiteren Umwelt, die jeder Kommunikationspartner mit anderen Menschen teilt. Verstandigung ist folglich aber nur dann moglich, wenn beide Kommunikationsteilnelnner gleiche oder zurnindest sehr iihnIiche Begriffe aktivieren konnen: "Unschwer nach42 43 44 45 46 47 Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S.86. Burkart, R: Kommunikationswissensclmft. S. 107. Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 107. Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 104 - Mead neont solcbe Symbole, die eine ,,"dahinterstebende Idee" ausdriicken und diese Idee aucb im BewuIltsein des Komrnunikationspartners wachrufen konnen, "signi[tkante Symbole". Vgl. Mead, G.H.: Geist, Identitlit und Gesellscbaft aus Sicht des SoziaIbehaviorismus. 8. Aufi. Frankfurt am Main 1991. S.85. Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 108 f.. Burkart. R: Kommunikationswissenscbaft S. 109. 14 vollziehbar sind nunmehr MiBverstandnisse zwischen zwei Kommunikationspartnern, die tiber unterschiedliche Sprachvarianten ein und derselben Einheitssprache verfiigen: Infolge der Wechselbeziehung zwischen Sprache und sozialer Umwelt fehlt dem Besitzer eines ausschlieBlich restringierten Codes eine - mit dem elaborierten Code einhergehende - differenzierte Wirklichkeitserfabrung und damit vielfach auch die Moglichkeit, Symbolen und Symbolkombinationen aus dem Bereich des elaborierten Codes Bedeutungen zuzuordnen. ,,48 Erklarbar wird jetzt auch die eingangs gestellte Frage nach der unterschiedlichen Bedeutungszuordnung bei Kommunikationspartnern, die grundsatzlich tiber das gleiche Codesystem verfiigen und deren Sprachvariante~ sich entsprechen: ,,Hier bestehen Dilferenzen im pers6nlichen Erfahrungsbereich der beiden Kommunikationspartner; d.h. ihre niiheren Umwelten sind einander so uniihnlich, daB ein wechselseitiges Aktualisieren unterschiedlicher Begrifilichkeiten die Folge sein muB."49 2. MiBverstiindnisse auf der intersubjektiven Ebene Bei MiBverstiindnissen auf der intersubjektiven Ebene steht die Frage im Vordergrund, warum zwei Kommunikationspartner, die derselben sprachlichen Gemeinschaft angehoren, den pragmatischen Verwendungssinn einer sprachlichen Aussage unterschiedlich interpretieren. Urn diese Frage zu beantworten, miissen jene Faktoren analysiert werden, die die Bedeutung einer sprachlichen Handlung bestimmen. Es wurde schon darauf verwiesen, daB sprachliche Handlungen nicht isoliert betrachtet werden diirfen, sondem daB sie immer in einem Urnfeld, dem sogenannten Kontext, stehen. Nach Burkart besitzt dieser Kontext sowohl eine individuelle a1s auch eine gesellschaft1iche Perspektive. Beide Gesichtspunkte stehen in engem Zusanunenhang und folglich mtissen auch beide betrachtet werden. In bezug auf die individuelle Komponente spielt die soziale Position, in der sich die beiden Kommunikationspartner gegeniibertreten, eine groBe Rolle: "So ist die jeweilige soziale Position des Gespriichspartners nicht nur fur das eigene kommunikative Handeln (hier: die Art der potentiellen Sprechakte) von Bedeutung, sondern bestimmt v.a. auch die Erwartungen, die man seinem Gegeniiber entgegenbringt."so Dieser Auffassung entspricht im Schulz von Thunschen Modell die Beziehungsebene sowie die Selbstoffenbarungsebene. In einer Kommunikationssituation wird immer etwas tiber die Beziehung der beiden Kommunikationspartner zueinander ausgesagt. Diese Beziehung priigt die Kommunikation genauso wie die Selbstoffenbarung des Senders, die sowohl "die gewollte Selbstdarstellung,<51 als auch "die unfreiwillige Selbstenthii1lung,<52 einschlieBen. 48 49 50 51 52 Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Ill. Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Ill. Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Il6. Schulz von ThUD, F.: Miteumnder reden I. S. 27. Schulz von ThUD, F.: Miteilmnder reden I. S. 27. 15 Damit wird aber zugleich die gesellschaftliche Komponente angesprochen: ,,Bier stehen v.a. die wechselseitigen Erwartungen und das jeweilige Wert- und Normgefuge, aus dem diese erwachsen, im Mittelpunkt.,,53 1m Zuge der menschlichen Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen werden bestimmte Vorstellungen gepriigt, welche soziale Positionen ein Mensch innehaben kann und wie man diesen Menschen in ihren jeweiligen sozialen Positionen entgegentreten muB. Diese Vorstellungen pragen auch das kommunikative Handeln: "Treten daber nun zwei Menschen kommunikativ zueinander in Beziehung, dann beeintluBt dieses normativ (vor)gepriigte Verhiiltnis, das sie zueinander haben (oder zu haben glauben), und die sich daraus ergebende - wechselseitige (in der Regel) vorweg bereits definierte - Kommunikationssituation ihr jeweiliges kommunikatives Handeln, hier: die Wahl und die Interpretation gesetzter Sprechakte. '" Dabei werden die vom jeweiligen (gesellschaftlich bereitgestellten) Wert- und Normgefuge gepriigten Erwartungen aktiviert: man weiB ungefiihr, mit welcher Art von Sprechakten (seines Gegeniibers) man rechnen muB."" Das eben Gesagte liillt sich am Beispiel der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien im Bereich der juristischen Fachsprache verdeutlichen. Sowohl der Fachmann als auch der Laie haben eine gewisse Vorstellung voneinander. Besonders der Laie geht oft mit der Erwartungshaltung zum Anwalt, daB dieser Fachmann ihm auch ,,fachmiinnisch" gegentibertritt, d.h., daB er tiber entsprechende Sachkenntnisse verfiigt, die sich auch in komplizierten - fur den Laien unverstiindlichen Fachtermini - auBern. Kommunikationsstorungen sind denkbar, wenn diese Erwartungshaltung nicht erfiillt win\, der Fachmann also "unfachmiinnisch" auftritt, und folglich seine Kompetenz in Frage gestellt wird. Andererseits verweist Giilich - allerdings fur die medizinische Fachsprache darauf, daB gerade der Laie auch Fachmann ist, niimlich fur seinen konkreten Fall." Ahniiches gilt auch fur die Rechtssprache. Nur der Mandant hat die spezifischen und detaillierten Informationen zu dem ihn betreffenden Sachverhalt, auf deren Grundlage ihm der Anwalt die Rechtslage erlautem kann. Qhne den Kenntnisstand seines Mandanten zu haben, wird dem Anwalt dieses Unterfangen schwerlich gelingen. Dazu gehort auch, daB sich der Anwalt in die spezifische Lage seines Mandanten versetzen muB. Dabei muB er immer die personiiche Betroffenheit des Mandanten einbeziehen. Verallgemeinemd heiBt das, bevor ein Sprechakt interpretiert win\, deuten beide Kommunikationspartner wechselseitig ihre sozialen Positionen. Das ist die Grundiage fur die Interpretation der Kommunikationssituation: ,,Nur wenn diese Kommunikationssituation von heiden Kommunikationspartnem in gleicher Weise definiert win\, kann Verstiindigung tiber den pragmatischen Verwendungssinn der gemachten Aussage zustande kommen.,,56 MiBverstiindnisse auf der intersuhjektiven 53 54 55 56 Burkart, R: Kommunikationswissensehaft. S. 116 f .. Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 118 f .. Giilieh, Elisabetll: "E"1Jerten" und ''Laien'': Der Umgang mit Kompetenzunterscbieden am Beispiel medizinischer Kommunikation. Tagungsunterlagen zum 3. Symposium der deutscheu Akademie der Wissenscbaften 1998 in Leipzig. Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 119. 16 Ebene treten folglich immer dann aut: wenn die beiden Kommunikationspartner die Kommunikationssituation unterschiedlich interpretieren. Es kommt dann zum wechselseitigen MiBverstehen der auftretenden Sprechakte. Diese MiBverstiindnisse sind immer eng verbunden mit der Uberbewertung einer der sprachlichen Ebenen: "Viele Empfiinger (vor aIlem Manner und Akademiker) sind darauf geeicht, sich auf die Sachseite der Nachricht ZlI stiirzen und das Rei! in der Sachauseinandersetzung ZlI suchen. Dies erweist sich regelmiiBig dann als verhangnisvoll, wenn das eigentliche Problem nicht so sehr in einer sachlichen Differenz besteht, sondem auf der zwischenmenschlichen Ebene liegt.,,57 Andere Empfiinger dagegen horen besonders gut auf dem ,,Beziehungs-Ohr" und interpretieren in viele beziehungsneutrale Nachrichten eine Stellungnahme ZlI ihrer Person: "Sie beziehen alles auf sich, nehmen alles personlich, fi.ihlen sich leicht angegriffen und beleidigt."s8 Empfiinger mit einem ausgeprligten "Appell-Ohr" dagegen sind oft von dem Wunsch beseelt, "es allen recht ZlI machen und auch den unausgesprochenen Erwartungen der Mitmenschen ZlI entsprechen"S9 Diese kurze AutZahlung soli zur Verdeutlichung geniigen, wie ungeheuer vielfiiltig und vielschichtig MiBverstiindnisse in der Kommunikation aussehen konnen. 1m empirischen Tei! der Arbeit wird ZlI zeigen sein, welche spezifischen MiBverstiindnisse in der Fachsprache des Rechts, speziell in der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien, auftreten und wie sie moglicherweise verringert oder sogar verhindert werden konnen. 57 58 59 Schulz von Thun, F.: Miteinander reden 1. S.47. Schulz von 11lUn, F.: Mileinander reden 1. S. 51. Schulz von 111un, F.: Miteinander reden 1. S. 58. C. Ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre Zuvor soli jedoch auf einige wenige Aspekte der juristischen Methoden1ehre verwiesen werden, die vor allem fUr die nachfolgende empirische Untersuchung von Bedeutung sind. Die Rechtswissenschaft ist "als diejenige Wissenschaft yom Recht gekennzeichnet, die sich mit ihm vornehmlich unter dem nonnativen Aspekt und daher mit dem "Sinn" von Normen befuBt. Es geht ihr urn die nonnative Geltung und urn den Sinngehalt von Normen des positiven Rechts mit EinschluB der in den Urteilen der Gerichte enthaltenen Entscheidungsmaximen.'<60 Normative Geltung meint dabei die ,,MaBgeblichkeit oder Verbindlichkeit einer Verhaltensanforderung oder eines MaBstabes, an dem sich menschliches Verhalten messen lassen muB"6!. 1m Gegensatz dazu steht die faktische Geltung einer Norm, unter der man ihre ,,Effizienz oder die Chance ihrer Durchsetzbarkeit''"'' versteht. 1m Mittelpunkt der juristischen Tiitigkeit stehen die Rechtssatze als sprachliche Reprasentation der Rechtsnormen, die ihrerseits Bestandtei1e der Rechtsordnung sind. Diese Normen haben als Rechtsrege1n einerseits einen normativen Charakter, das heiBt, sie sind verbindliche Verhaltensanforderungen oder Beurtei1ungsmaBstiibe. Zurn anderen haben sie einen generellen Charakter derart, daB sie Anspruch erheben, innerhalb ihres Geltungsbereichs fUr alle Faile der geregelten Art zu gelten63 : "Der Rechtssatz ist wegen des ihm zukommenden normativen Sinnes zu unterscheiden von einem Aussagesatz, der eine Tatsachenbehauptung oder eine Feststellung enthii1t. Er ist ebenso zu unterscheiden von so1chen Satzen, die Aussagen tiber geltendes Recht entha1ten, in denen von Rechtsnormen die Rede ist."64 Wahrend eine Aussage entweder "wahr" oder "faIsch" sein kann, lautet beim Rechtssatz die Frage, ob er giiltig, also Bestandtei1 der geltenden Rechtsordnung ist. Von dem Rechtssatz selbst muB die Aussage unterschieden werden, dieser Satz sei geltendes Recht. Diese Aussage kann, wie fur jede Aussage zutreffend, wahr oder falsch sein. 65 Der Rechtssatz ist nun folgendermaBen aufgebaut: ,,Er ordnet dem generell umschriebenen Sachverhalt, dem "Tatbestand", eine ebenso generell umschriebene ,,Rechtsfolge" zu. Der Sinn dieser Zuordnung ist, daB immer dann, wenn der im Tatbestand bezeichnete Sachverhalt vorliegt, die Rechtsfolge eintritt, d.h. im konkreten Fall gih. ,,66 Das Spezifikum des Rechtssatzes a1s der sprachlichen Ausdrucksform einer Norm ist also "die Verkntipfung eines tatsachlichen Vorgangs, wie er in dem Tatbestand der Norm beschrieben ist, mit 60 61 62 63 64 65 66 Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 3. Autl. Berlin, Heidelberg u.a 1995. S.17. Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methodenlehre der Recbtswissenschaft. S. 17. Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 17. Vgl. dazuLarenz, K; Canaris, C.-W.: MethodenlehrederRecbtswissenschaft. S. 71. Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 71 f.. Vgl. dazu Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Recbtswissenschaft S. 72. Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 72 f.. 18 einer Rechtsfolge, die auf dem Gebiet des rechtlich Geltenden liegt, daher mit der Verwirklichung des Tatbestandes ,,in Geltung tritt" ,,67. Insofem wird der entscheidende Unterschied zwischen Rechtssatz und Aussagesatz deutlich: ,,Der Sinn der Verlrniipfung des Tatbestandes mit der Rechtsfolge ist nicht, wie im Aussagesatz, eine Behauptung, sondem eine Geltungsanordnung. Der Normgeber sagt nicht: So ist es in der Tat, sondem er sagt: So sol1 es Rechtens sein, gelten."'" Die wichtigste Form der schriftlichen Niederlegung von Rechtsnormen sind die Gesetze. Sie umfassen sowohl die im Rahmen der verfassungsmiiBigen Gesetzgebung erlassenen Gesetze im engeren oder formellen Sinn als auch von BehOrden ergehende Rechtsverordnungen. Diese Gesetze als sprachliche AuBerungen miissen verstanden werden:,,Das Verstehen sprachlicher AuBerungen geschieht nun entweder unreflektiert, durch das unmittelbare Innewerden des Sinnes der AuBerung, oder in reflektierter Weise, durch Auslegen.,,69 Das Ziel der Auslegung kann nach Auffassung der juristischen Methodenlehre nur die Ermittlung des heute rechtlich maBgeblichen, also des normatiyen Sinnes eines Gesetzes sein: ,,Der rechtlich als maBgeblich zu erachtende Sinn des Gesetzes ist aber nur unter Berucksichtigung auch der Regelungsabsichten und der konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers, keinesfa11s unabbiingig davon festzuste11en. Er ist vielmehr das Ergebnis eines gedanklichen Prozesses, in den aile vorstehend genannten Momente, also sowohl "subjektive" wie "objektive", einzubeziehen sind und der, wie schon bemerkt, prinzipiell nie am Ende ist."70 Die Notwendigkeit der Auslegung ergibt sich vor aIlem daraus, daJ3 sich auch Gesetze der Umgangssprache bedienen, die "anders als eine mathematisierte Logik und Wissenschaftssprache keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe verwendet, sondem mehr oder minder flexible Ausdriicke, deren mogliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je nach den Umstiinden, der Sachbezogenheit und dem Zusammenhang der Rede, der Satzstellung und Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann"71.Dazu kommt, daJ3 sogar wichtige Rechtsbegriffe im Gesetz nicht definiert sind. Einige yom Gesetz gegebene Definitionen sind unvo11stiindig oder mehrdeutig, oftmals wird ein und derselbe Ausdruck in verschiedenen Gesetzen, manchrnal sogar in demselben Gesetz, unterschiedlich gebraucht. Weiterhin ist die Auslegung von Gesetzen notwendig, wei! unter Umstiinden zwei Rechtssatze fur den gleichen Sachverhalt Rechtsfolgen anordnen, die sich gegenseitig ausschlieBen. Es gibt in der juristischen Auslegungslehre vier Aspekte, nach denen ein Gesetz ausgelegt werden kann. Sie werden als ,,Kanones" hezeichnet und gehen auf die 1802 von Carl Friedrich von Savigny 67 68 69 70 71 Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methoden1ehre der Rechtswissenscbaft. S. 73 f. Larenz, K; Canaris, C.-w.: Methoden1ehre der Rechtswissenscbaft. S. 74. Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methoden1ebre der Rechtswissenschaft. S. 25. Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methoden1ebre der Rechtswissenscbaft. S. 139. Lareoz, K; Canaris, C.-W.: Methoden1ebre derRechtswissenscbaft S. 133. 19 verfaBte Methodik zurUckn In der heutigen Auslegungs-Methodik werden folgende Kanones unterschieden: die Auslegung nach dem Wortlaut oder Wortsinn (grammatische Auslegung); die systematische Auslegung (auch logische Auslegung genannt); die Auslegung nach der Entstehungsgeschichte (historische oder subjektiv-teleologische Auslegung) und die Auslegung nach dem Zweck des Gesetzes ( objektiv-teleologische Auslegung). Zu beachten ist, daB Gesetzesvorschriften auch in ihrer mit Hilfe der Auslegungsmethoden ermittelten Bedeutung nicht gegen hoherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen das Grundgesetz und das Recht der Europaischen Union verstoBen diirfen. Im Zweifel sind daher nur die Auslegungsmethoden anzuwenden, die zu einem mit der Verfassung oder EU-Normen zu vereinbarenden Ergebnis ge1angen (sogenannte verfassungskonforme I gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung). Im allgemeinen wird mit der Auslegung eines Gesetzes nach dem Wortsinn begonnen. Dabei muB zwischen fach- und umgangssprachlichen Konventionen unterschieden werden. Probleme treten immer bei sprachlieher Mehrdeutigkeit oder Vagheit aut: die nieht nur in der Unterscheidung zwischen Fach- und Umgangssprache, sondem aueh innerhalb der Umgangsspraehe vorkommen. LaBt die Wortsinnmethode mehrere Auslegungen zu, folgt traditionell die systematisehe Auslegung, die die Einbettung der auszulegenden Norm in eine umfassendere Regelung beriieksiehtigt: "Ober diese allgemeine, das Verstandnis fordernde Funktion des Kontextes hinaus spielt der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes insofem noeh eine weitergehende Rolle fUr dessen Auslegung, als zwischen den einzelnen Gesetzesbestimmungen eine saehliehe Ubereinstimmung angenommen werden kann. Unter mehreren, dem Wortsinn nach mogliehen Auslegungen verdient daher diejenige den Vorzug, die die Wahrung der sachlichen Obereinstimmung mit einer anderen Bestimmung ermoglicht."73 Die historische Auslegung fragt nach der ,,Regelungsabsieht des Gesetzgebers" und den "von ihrn in Verfolgung dieser Absicht erkennbar getroffenen Wertentseheidungen"": ,,Als Erkenntnisquellen fUr die Normvorstellungen der an der Vorbereitung und Abfassung des Gesetzes beteiligten Personen kommen in erster Linie die verschiedenen Entwiirfe, die Beratungsprotokolle und die den Entwiirfen beigegebenen Begriindungen, fur die Vorstellungen der am Gesetzgebungsakt selbst beteiligten Personen die Parlamentsberiehte in Betracht. Diese Zeugnisse sind selbst wiederum zu interpretieren vor dem Hintergrunde des damaligen Spraehverstandnisses, der damaligen Lehre und Rechtsprechung, soweit die Verfasser des Gesetzes sie ausdriieklieh ilbernehmen wollten oder ersiehtlieh von ihnen beeinfluBt waren, der von dem damaligen Gesetzgeber vorgefundenen Normsituation, also deIjenigen realen Gegebenheiten, denen er Recbnung tragen wollte. ... Die gleichen Erkenntnisquellen dienen auch der Errnittlung der Regelungsabsicht und der Zwekke des Gesetzgebers, soweit diese nieht bereits aus dem Gesetz selbst, aus einem Vorspruch, den 72 73 74 Savigny kannte neben der philologischen AusJegnng nach den Regeln der Sprache noeh eine historische und eine systernatische AusJegnng. Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 146. Laren7~ K.; Canaris, C.-W.: Methoden1ehre der Rechtswissenschaft. S. 149. 20 einleitenden Bestinnnungen, Uberschriften, dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes und den daraus hervorgehenden Wertentscheidungen ersichtlich sind.,,75 Objektiv-teleologische Kriterien der Auslegung gibt es dagegen in zweieriei Hinsicht: ,,zurn einen handeh es sich urn die Strukturen des geregelten Sachbereichs, tatsachliche Gegebenheiten an denen auch der Gesetzgeber nichts andem kann, die er vemiinftigelWeise bei jeder Regelung mit beriicksichtigt; zum anderen urn die rechtsethischen Prinzipien, die hinter einer Regelung stehen, in denen der Sinnhezug einer solchen auf die Rechtsidee faBbar, aussprechbar wird."76 Bei der Auslegung von Gesetzen darf nicht vergessen werden, daB diesen Gesetzen bestimmte yom Gesetzgeber intendierte ,,Regelungsabsichten, Gerechtigkeits- und ZweckmliBigkeitselWiigungen,,77 zugrunde liegen, die aufbestinnnten Wertungen basieren: ,,Eine Rechtsnorm "verstehen" verlangt daher, die in ihr beschlossene Wertung und ihre Tragweite auftudecken. Thre Anwendung verlangt, den zu beurteilenden Fa\l der Norm gemii13 zu bewerten, anders ausgedriickt, die in der Norm enthaltene Wertung in der Beurteilung des ,,Fa\les" sinngemii13 zum Tragen zu bringen."" Insofem kommt dem wertorientierten Denken in der Jurisprudenz eine tragende Rolle zu: "Ob aber bestimmte Methoden dazu geeignet sind, das Erkenntnisziel der Jurisprudenz und ihre davon untrennbaren praktischen Aufgaben zu fordem oder nicht, ob es spezifische Methoden wertorientierten Denkens gibt und wenn ja, wie sie sinnnvollelWeise einzusetzen sind, das sind Fragen, die dem weiteren Bereich der Hermeneutik angehoren. Mit ,,Hermeneutik" ist in diesem Zusammenhang die Lehre von den Bedingungen der Moglichkeit und den besonderen Weisen des "Verstehens im engeren Sinn" gemeint, d.h. des Verstehens von Sinnhaftem als solchern, im Gegensatz zum ,,Erkliiren" von Objekten ohne Rticksicht auf Sinnbeziige. Geht es in der juristischen Methodenlehre urn die besonderen Weisen des Verstehens rechtlicher Sinnbeziige, so bildet die a\lgerneine Hermeneutik in dem bezeichneten Sinne wiederum die Grundlage auch fur die juristische Methodenlehre, indem sie die Bedingungen der Moglichkeit von Verstehen tiberhaupt zum Gegenstand hat."79 Die irn vorstehenden Kapitel getroffenen Aussagen tiber die juristische Methodenlehre verstehen sich lediglich als kurzer Einblick in die Materie, soweit dies fur die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist. Eine urnfassende Behandlung des Thernas wiirde den Rahmen der Arbeit deutlich tibersteigen. Insofem sei auf die urnfangreiche Spezia11iteratur verwiesen. Spezielle Details der juristischen Methodenlehre werden dagegen, wenn sie zum Gegenstand der vorliegenden Arbeit gehOren, an den Stellen erortert, an denen sie notwendig erscheinen. 75 76 77 78 79 Larenz, K; Canaris, c.-w.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 151. Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 154. Larenz, K; Canaris, C.-w.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 36. Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 36. Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenscbaft. S. 66. D. Die sprachliche Charakterisierung der Fachsprache des Rechts I. Die historische Entwicklung der Fachsprachen Der Ursprung der Fachsprachenentwicklung liegt in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die sich bereits sehr fiiih durchsetzte. Die ersten Spezia\isierungen fanden in der Heilkunde, im Waffenbau und im Jagdwesen statt. Als iilteste Fachsprachen dieser Art gelten die Sprache des Bauern und des Fischers. Teile dieser Sprachen sind uns bruchstiickhaft durch die mittelalterliche Literatur in Form von Lehrgedichten, Bauernpraktiken und Zunftverordnungen iiberliefert: ,,Anfangs entwickelten sich einzelne Termini und schlieBIich Fachwortschiitze, die sich durch Fachbezogenheit der ihnen zugeordneten Worter und Wendungen auszeichneten. Man schuf entweder neue Ausdriicke, gab neue Bedeutungen oder bewahrte a1te Worter a1s Fachworter weiter. ,<80 Die sprachliche Entwicklung in verschiedenen Fachbereichen ist jedoch nicht nur durch die Herausbildung von "Sonderwortschiitzen,<81 gekennzeichnet, sondern auch durch Besonderheiten auf anderen sprachlichen Ebenen, so daB in der neueren Forschung zu Recht von Fachsprachen die Rede ist. Allerdings darf nicht iibersehen werden, daB insbesondere weltliches Fachwissen weitgehend mundlich weitergegeben wurde: ,,Die wenigen Aufzeichnungen deutscher Texte - meistens im klosterlichen Bereich entstanden - dienten nach wie vor iiberwiegend dem Verstandnis lateinischer Texte."82 Die Kloster blieben noch fur Jahrhunderte die wichtigsten fachliterarischen Textzentren: "Eine ganze Reihe friiher Fachschriften hat Monche zu Verfassern, vor a1lem zu den freien Kunsten, aber auch zu den "artes mechanicae": Arzneibiicher, Krauterbiicher, Weinbiicher, Kochbiicher, Technologien. ... FUr Laienbriider, Klosterhandwerker, SchUler und spiiter fur weibliche Ordensangehorige sind solche Schriften immer ofter auch in die Landessprache iibersetzt oder in ihr abgefaBt worden. ,<83 Einige Sachgebiete, wie beispielsweise die Veteriniirmedizin und die Jagdkunde, konntenjedoch in den Klostern nicht heimisch werden, da sich die Monche nur streng auf die Humanmedizin konzentrierten und die Jagdrechte allenfalls von Klosterjagern, nicht aber von den Monchen selbst ausgeiibt wurden. Fachtexte aus diesen Sachgebieten spie\ten besonders an den adligen Hofen eine groBe Rolle. Zu erwahnen sind "vor a11em Jagdtraktate und veteriniirmedizinische Texte zur Behandlung der Reitpferde, Beizvoge\ und Jagdhunde, denen sich Lehrschriften zum Kriegfuhren, zum Fechten und Ringen und im ausgehenden Mittelalter Turnierbiicher anschlossen; im magisch-mantischen 80 81 82 83 Fleischer. w.; Hartung. W.; Schild, 1.; Suchsland, P. (Hrsg.): Deutsche Spraehe. l. Aun. Leipzig 1983. S. 445. Fleischer. W. u.a. (Hrsg.): Deutsche Spraehe. S. 445. Crossgrove, W.: Die deutsche Sachliteratur des MittelalterS. Bern. Berlin, Frankfurt am Main u.a. 1994. S. 9. Assion. P.: A1tdeutsche Faehliteratur. Berlin 1973. S. 37 f.. 22 Schrifttum, das kirchlicher Verfolgung ausgesetzt war, trat dazu ein weiterer Zweig fachliterarischer Uberlieferung ans Licht, der seine Forderung maBgeblich dern Adel verdankte. ,"'4 Erwiihnt werden mull allerdings auch eine gegenliiufige Tendenz, die sich mit dem Eintritt neuer Berufsgruppen oft wiederholte: ,,Handwerklich tradienes Wissen wurde nur rogernd aufgezeichnet. Handwerker hatten im Grunde kein Interesse damn, ihr Wissen einern breiten Publikum zugiinglich zu machen. Solange ihre Ausbildung im Lehrlingswesen erfolgte, brauchten sie auch keine Texte zur Erlemung des Handwerks.''''5 Eine Sonderstellung nimmt in vielerlei Hinsicht die Fachsprache des Rechts ein. Sie laBt sich durch die Bedeutung des Rechtswesens im sozialen Gefiige erkliiren. Grundsatzlich gilt das Rechtssystem fur alle Mitglieder der Gesellschaft. Trotzdem bleibt es ein Spezialistenbereich, "der zwar allgegenwiirtig ist, aber in seinen Schriften schon friih eine Sondersprache herausbildet, die einen gewaltigen EinfluB auf andere Schriftforrnen ausiibt - schon dadurch bedingt, daB die Juristen oft in anderen Gebieten als Schriftsteller tiitig waren -, und gerade durch die Masse und Vielfalt der Schriften eigene Forschungsmethoden verlangt".86 Bereits seit dem 5. Jahrhunden wurde von Herzogen und Stammeskonigen die Aufzeichnung geItender Rechtsgewohnheiten, die sogenannten "Volksrechte", in Auftrag gegeben. Sie erfolgte votwiegend in lateinischer Sprache mit "volkssprachlichen Einsprengseln''''7. Die starke Betonung des Lateinischen erklart sich aus der Ubernabme des romischen Rechts, dazu kommt jedoch auch der altdeutsche Wortbestand. So sind insbesondere Ausdriicke des Strafvollzuges deutsch geblieben wie Steckbrief(16. Jahrhundert), Henkersmahlzeit (16. Jahrhundert), brandmarken, den Stab iiber einen brechen und Daumenschrauben ansetzen. Rechtsausdriicke waren urspriinglich auch auJschieben im Sinne von an eine h6here Instanz appellieren und iiberzeugen im Sinne von durch Zeugen iibeifiihren. 88 Seit dem 13. Jahrhundert wurden Urkunden, Rechtsverordnungen und Rechtsbiicher, die vorrangig von den zustandigen Hofen ausgingen, zum Teil giinzlich in Deutsch verfaBt: ,,Die Reihe der Rechtssammlungen setzte urn 1235 neu ein mit dem "Sachsenspiegel", in dem der anhaItischaskanische Ritter Eike von Repgow im Auftrag des Grafen Hoyer von Falkenstein auf dessen Burg im Harz das Land- und Lehenrecht fixierte, das im ostfaIisch-sii.chsischen Bereich giiltig war.'",g Der Sachsenspiegel umfaBt etwa 270 Handschriften. Mit etwa 400 erhaltenen Handschriften ist nur noch der "Schwabenspiegel" populiirer. Er ist das meistverbreitete Buch des Mittelalters und spiegelt als ,,Kaiserliches Land- und Lehenrecht" die siiddeutschen RechtsverhiUtnisse wieder. Der 84 85 86 87 88 89 Assion, P.: Altdeutsche FacWiteratur. S. 39. Crossgrove, W.: Die deutsche SacWiteratur des Mittelalters. S. 10. Crossgrove, W.: Die deutscbe SacWiteratur des Mittelalters. S. 13. Assion, P.: Altdeutsche FacWiteratur. S. 40. Vgl. Bach, A.: Geschichte der deutschen Sprache. 7. Aufl. Heidelberg 1961. S.192. Assion, P.: Altdeutscbe FacWiteratur. S. 40. 23 Schwabenspiegel wurde urn 1275 in Augsburg verfaBt und trat von Prag, dem Sitz des Kaisers und der Reichskanzlei, seinen Siegeszug an.90 Seit der zweiten HiiIfte des 14. Jahrhunderts erfuhr auch die Rechtssprache eine Neubelebung vor aIlem im Gebiet der Hansestiidte, wo sich eine mittelniederdeutsche Geschlifts- oder Verkehrssprache lubischer Pr!igung herausbildete: ,,Die ganze Ostseekiiste bezog ihr Recht von LUbeck; weit tiber den deutschen Volksboden hinaus galt bier lubisches Recht. Die sprachliche Wrrkung der Kanzleien der genannten Stlidte war urn so nachdriicklicher, als es ublich wurde, sich in zweifelhaften RechtsfiUlen bei jenen Stlidten, deren Recht !llIUl nachgefolgt war, Belehrung und Auskunft zu holen."'" Die Sprache der Kanz1eien hat grundslitzlich einen groBen EinfluB auf die gesamte Sprachentwicklung. 1m 17. Jahrhundert wurde sie neben der Lutbersprache als Vorbild erwlihnt. Nehen Regensburg war Speyer beri.ihmt durch die Kanzleisprache des Reichskammergerichts: "Um 1600 preisen siiddeutsche Grammatiker wie Helber und Sattler das Speyrer Deutsch.... Dombliith, Gottscheds Gegner, empfiehlt noch nach 1750 das Studiurn der Schriften des Reichskammergerichts zu Speyer, wie sie zwischen 1680 und 1690 abgefuBt worden seien.'<92 Besonders schwierig fUr die deutsche Fachsprachenentwicklung im aIlgemeinen war die Vormachtsstellung des Lateinischen: "Gerade im 16. Jahrhundert spielte das Lateinische im wissenschaftlichen Denken eine so dominierende Rolle, daB die deutsche Sachliteratur zunehmend aus der Wissenschaft verbannt wurde. Sie ubemahm immer mehr die Rolle einer Sachliteratur fUr Lesekundige, die nicht notwendigerweise zur wissenschaftlichen Elite gehOrten. Auf diese Weise ist die Sachliteratur des Mittelalters typologisch rum echten Vorgiinger der modernen Sachliteratur goworden."9J So entstand seit dem 17. Jahrundert die heutige deutsche Fachliteratur der Wissenschaften in der Auseinandersetzung mit der lateinischen Sprache an den Gymnasien und Universitliten, in der 6ffentlichen Verwaltung, in der Industrie und im Handel. Durch die rasante Entwicklung technischer Neuheiten und den Aufschwung der Naturwissenschaften, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ,,industrielle Revolution" ausl6sten, begann sich die bis dahin nahezu einheitliche Arbeitswelt aufud6sen, und zahlreiche Spezialisierungen innerhalb verscbiedener Wissenschaftsgebiete verwehrten dem einzelnen einen universalen Uberblick: ,,Die Einrichtung von neuen Fiichem und Disziplinen fiihrte zu einer Flut von praktischen und tbeorerlschen Fachschriften und einem starken Wachstums- und OifferenzierungsprozeB unter den Fachsprachen.'<94 Auch die moderne Fachsprache des Rechts unterlag und unterliegt Entwicklungen, die durch sprachliche und auBersprachliche Faktoren bedingt sind. In den nacbfolgenden Kapiteln 90 91 92 93 94 VgL Assion,P.: AltdeutscheFachliteratur. S. 40. Bach, A: Geschichte der deutschen Sprache. S.193. Bach, A: Geschichte der deutschen Sprache. S. 280. Crossgrove, W.: Die deutsche Sachliteratur des Mittelalters. S. 10. Fluck, H-R: Facbsprachen. S. 32. 24 sollen diese Faktoren ana1ysiert und ihre Anwendbarkeit fur den fachsprachlichen KommunikationsprozeB iiberprUft werden. II. Linguistische Charakterisiernng der Fachsprache des Rechts Das Problem, die Fachsprache des Rechts niiher zu charakterisieren, zeigt sich schon an der Stelle, an der versucht winl, den Gegenstandsbereich derSprache des Rechts zu bestimmen. Dieser Bereich der Rechtssprache, "den wir intuitiv als zusammengehOrig und weniger stark untergliedert empfinden"95, zerfiillt bei niiherer Betrachtung in eine AnzahI von Varianten, von denen nur einige zur Verdeutlichung genannt werden sollen: ,,Rechtssprache, Juristensprache, juristische Fachsprache, Justizsprache, Sprache des Rechtswesens, Gesetzessprache, Rechts- und Verwaltungssprache"%. Diese Vielfalt erklart sich zorn einen aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansiitzen, die bei der Analyse der Fachsprache des Rechts zugrunde gelegt werden. Zum anderen zeigt sich, "daB bei den meisten praktischen Fachsprachenuntersuchungen das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium noch uneinheitlich gesehen wird und unklar ist, wann und bis zu welcher Einheit die miihsam konstituierte einzelne Fachsprache weiter aufgespalten werden soli"'''. Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es drei Griinde, die die Betrachtung der gesamten Rechtssprache als einheitliche Fachsprache erkliiren und rechtfertigen: ,,1. Uberal~ wo Juristen das Wort oder die Feder ergreifen, verwenden sie die gleiche Sprache, weil sie aile die gleiche - ihre Sprache pragende - Ausbildung genossen haben. 2. Auf allen Gebieten des Rechts lehnt sich die Sprache der Rechtspraxis an die der Gesetze an, und diese ist auf allen Gebieten durch weitgehende (allerdings nicht ungebrochene) Einheitlichkeit in Lexik und Syntax gekennzeichnet - unbestreitbar, aber erstaunlich im Hinblick auf das jahrhundertelange Fehlen einer wissenschaftlichen Gesetzgebungslehre. 3. Einen Berufsstand gibt es, der auf allen Gebieten des Rechtslebens wirkt, die Ausdrucksformen aller dieser Bereiche (Verwaltung, Gerichtswesen, Wirtschaft, Versicherungen usw.) annimmt, weitertriigt und aneinander angleicht: der Rechtsanwalt. Ihm ist gewiB die Einheitlichkeit der Fachsprache neben dem Gesetzgeber zu danken."" Natiirlich ist auch bei einer Betrachtung der "Gesamt"sprache des Rechts eine vertikale Gliederung sinnvoll und notwendig. So unterscheidet Otto 1. die Gesetzessprache, 2. die Urteils- und Bescheidsprache, 3. die Wissenschafts- und Gutachtensprache, 4. die Sprache des behOrdlichen Schriftverkehrs und zwar a) mit fachkundigen Empfangem und b) mit dem fachunkundigen Biirger 95 96 97 98 Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. Uberlegungen zur Kluft zwischen Fachsprache und Gemeinsprache am Beispiel juristischer Texte. In: Gebrauchsliteratur Interfereuz. Kontrastivitlit. Frankfurt am Main, Bern 1982. S. 318. Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 318 Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 318. Daullt, u.: Rechtssprache - eine genormte Fachsprache? In: Der Offentliche Sprachgebrauch. Stuttgart 1981. S.84f.. 25 und 5. Den Verwaltungsjargon. 99 Diese Unterteilung unterstiitzt auch Fotheringham, obwohl er einwendet, daB diese Unterscheidung unvoUkommen erscheint, "wei! in ihr nicht zum Ausdruck kommt, daB das Rechtsleben sich nicht nur unter Beteiligung offentlicher Stellen abspielt, sondem auch zwischen privaten Rechtssubjekten"HJO. Gleichwohl sei sie zu bejahen, "denn die rechtlich relevante Kommunikation irn privaten Bereich, die eine uniibersehbare Zahl von Rechtshandlungen umfaBt, ist zum einen hinreichender Erfassung und Analyse kaum zugiinglich, zum anderen diirfte sie, soweit ihre Sprache nicht als "Sprache der verwalteten Welt" der des behordlichen Schriftverkehrs angeniihert ist, fachbezogen, aber (noch) nicht fachlich sein"!O!. Dariiber hinaus, das zeigt die vorliegende Arbeit, muB das Unterteilungsscherna von Otto noch urn die Komponente 6. miindliche Kommunikation a) zwischen Anwalt und Laien und b) zwischen Richter und Anwalt bzw. Laien erweitert werden. Gegen das von Otto vorgesch1agene Modell wendet sich Bolten mit folgender Begriindung: Der Versuch, eine detailliertere Bestirnmung des rechtssprachlichen Corpus auf der Basis eines Schichtenmodells zu vollziehen, das nach Kriterien gegliedert sei, die sich horizontal und vertikal iiberschnitten, sei problernatisch. Das Schichtungsmodell von Otto lasse eindeutige Zuordnungen zu Institutionen oder anderen Gliederungskriterien nicht ZUI02 Die geauf3erte Kritik iiberzeugt nur teilweise. Trotz Dberschneidung der Differenzierungskriterien ist das erweiterte Schichtungsmodell von Otto fur die empirische Corpusuntersuchung praktikabel, da sich die angefuhrten fiinf Komponenten in der Rechtswirklichkeit wiederfinden und sich der Trend zu einer weiteren Differenzierung und Spezialisierung auch in der Fachsprache des Rechts auch durch vehemente Kritik daran nicht aufhalten IliBt. Boltens Vorschlag eines als "Organigrannn"I03 konzipierten Modells, "das den Aufbau einer idealtypischen Anwalts-/ NotarkanzIei reprasentiert"!04, widerspricht einer Befiirwortung des Schichtungsmodells jedoch nicht, denn die zunehmende Spezialisierung innerhalb eines Fachs bzw. einer Fachsprache geht einher mit dem Trend zur interdiszipliniiren Verkniipfung. Diese beiden Tendenzen stehen sich nicht unvereinbar gegeniiber, sondem miissen als gleichberechtigt angesehen werden. Die Basis des Boltenschen Modells bildet die ,,Mittlerfunktion, die eine KanzIei z.B. zwischen K1iiger und Beklagtem in kOinmunikativer Hinsicht einnimmt"W5 Eine Analyse der Text- und Textsortenverwendung irn Kanzleibereich bezieht nach Boltens Auffassung notwendig auch die Gerichtssprache mit ein. Deshalb sei eine gesonderte Un- 99 10 I 101 102 103 104 105 Vgl. Otto, W.: Amtsdeutsch heute, biirgernah und prmtisnah. 2. iiber3lb. AutI. Stuttgart. Miinchen. Hannover 1978. S. II f. Fotheringham, H.: Die Gesetzes- und Verwaltungssprache im Spannungsfeld zwischen fuchlicher Qualitlit und Allgemeinverstlindlichkeit In: Der iiffentliche Sprnchgebrauch. Stuttgart 1981. S. 100. Fotheringham, H.: Die Gesetzes- und Verwaltungssprnche im Spannungsfeld zwischen fuchlicher Qualiliil und Allgemeinverstiindlichkeit S. 100 f .. Vgl. Bolten, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 68. Bolten. 1.: "Fachsprache" oder "Sprachhereich"? S. 68. Bolten, 1.: ,,Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 68. Boltcn, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 69. 26 tersuchung von Kommunikationsstrukturen im gerichtlichen Bereich vermutlich entbehrlich. 106 Die Auffassung von der Mittlerposition des Anwalts wird sprachtheoretisch unterstiitzt durch ein dreigliedriges Modell von Fachsprache, das die Ebenen 1. Theoriesprache, 2. fachsprachliche Urngangssprache und 3. Verteiler- oder auch Vermittlersprache enthiUt. 107 1m folgenden werden einige grundiegende Merkmale der inneren Struktur der Sprache des Rechts allgemein vorgestellt werden. Am Beispiel des Ehescheidungsrechts, das in den §§ 1564-1587 P BGBHJ8 geregelt ist, wird das tatsachliche Vorkommen dieser Merkmale stichprobenhaft untersucht. 1. Lexik a) Lexikalische Merkmale der Fachsprache des Rechts Der lexikalische Bereich der Sprache des Rechts ist charakterisiert durch verschiedene Abstraktionsstufen. So unterscheidet sich die juristische Fachsprache von manch anderen Fachsprachen vor aHem dadurch, "daB sie Ausdrticke enthiUt, die der Form nach mit denen der Gerneinsprache iibereinstimmen, auf der InhaJtsebene aber von der serilantischen Struktur der Gerneinsprache abweichen konnen".l09 Beispiele dafur sind Begriffe wie Kauj. Miete oder Beleidigung. Begriffe auf dieser Ebene bezeichnet Schmidt als Fachjargonisrnen." O Trotzdem werden einige Rechtsbegriffe von den Laien in ihrern InhaJt durchaus richtig erfaBt, auch wenn die juristischen Hintergriinde irn einzelnen unbekannt sind (sogenannte Parallelwertung in der Laienssphare). So ist es insbesondere nicht erforderlich, daB der Laie juristische Feinheiten zurn Beispiel kornplexer Straftatbestande wie Diebstahl oder Urkundenfii1schung erfuBt. Es reicht aus zu wissen, daB es verboten ist, dern Nachbarn die Scheckformulare wegzunehmen und unter Nachabmung seiner Unterschrift einzuJosen. Auf einer zweiten Ebene gibt es Fachworter fur nicht unmittelbar faBbare, sondem ,,nur noch definierbare rein gedankliche Phiinornene"lll wie Willenserkliirung oder Mangelhqftung. Nach der Einteilung von Schmidt sind das die sogenannten Halbtermini. Auf der hOchsten Abstraktionsebene 106 Vgl. Bolten, J.: ,,Facbsprachen" oder "Sprachbereich"? S. 69. 107 Vgl. von Hahn, W.: Facbsprachen. In: Lexikon der Germanistischen Ungusitik. 2. vo11st neu bearb. Auf!. Tiibingen 1980. S. 391 f.; fiir die Gliederung der Fachwortschlitze siehe auch Schippan, Th.: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tiibingen 1992. S. 228 ff.. 108 Zur Zitierweise: Rechtsvorscbriften (Artikel, Paragraphen) bestehen haOOg aus mehreren Absiltzen, die im folgenden mit romischen Ziffern bezeichnet werden. Besteht ein Absatz aus mehreren Siltzen, werden diese mit arabischen Ziffem nnmeriert. Beispiel: § 1565 I 2 BGB meint den zweiten Satz im ersten Absatz dieser Rechtsvorschrift. 109 Oksaar, E.: Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und zwischen Fachlenten und Laien iill Bereich des Rechtsweseus. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. I. Aufl. Diisseldorf 1979. S. 101. 110 Vgl. Schippan, Th.: Lexikologie der deutschen GegenWll11Bsprache. Tiibingen 1992. S. 236 f.. 27 sind die rechtswissenschaftlichen Begriffe wie Unterl£1SS/mgsklage und Subsidiarittit angesiedelt, die die eigentlichen Termini darstellen. In diesem Zusammenhang muB auf den Begriff "Terminologienormung" eingegangen werden. Darunter wird im Bereich der Lexik "die Festlegung von Begriffsinhalten, also die Definition""2, verstanden: "Termini rnachen den definierten, den festgelegten Teil fachsprachlicher Lexik aus, charakterisiert durch Eindeutigkeit, Bestimmtheit und Genauigkeit."I13 Die Eindeutigkeit und Genauigkeit der Fachtermini sind aIlerdings nur der angestrebte Idealfall. So schriinkt Fleischer ein: "Termini sind gekennzeichnet durch eine - zumindest tendenziell - eindeutige Festlegung auf eine Klasse von Objekten, einen Begriff (wobei aIlerdings nicht aile Termini den ,,Idealvorstellungen" entsprechen konnen). Dadurch ist eine Fachbezogenheit und spezifische Kontextunabhangigkeit der Termini gegeben."114 In der Sprachrealitiit wird diese Eindeutigkeit anstrebende Definitionsarbeit dadurch erschwert, daB Rechtsnormen sowohl auf der Voraussetzungs- als auch auf der Rechtsfolgenseite eine Vielzahl bestimmter als auch unbestimmter Rechtsbegriffe verwenden: "Bestimmte Be!:,'Tiffe sind solche, deren Inhalt feststeht. Das ist vor allem bei der Verwendung von Zahlen der Fall (Die Nachtzeit beginnt 22.00 Uhr). Aber auch Begriffe wie Mensch, Tod sind im wesentlichen bestimmt. Demgegenuber liiBt sich der Inhalt unbestimmter Begriffe (z.E. die Prinzipien-Begriffe des Art. 20 GG; berechtigte Interessen iSd §§ 193 StGB, 824 IT BGB; offentliche Sicherheit erst durch eine genauere Auslegung feststellen."115 Die Vielzahl der genannten Auslegungsmoglichkeiten kann zu Arnbiguitat und Vagheit fiihren: ,,Der eigentliche positive Sinn der begriffiichen Unbestimmtheit wurde und wird darin gesehen, daB die Rechtsprechung den sich wandelnden Auffassungen angepaBt werden kann und muB. Bei dieser sogenannten "Rechtsfortbildung" beruft sich der Jurist einerseits auf die Absicht des Gesetzgebers, der die nun fortzubildende Norm urspriingIich gesetzt hat. ... Andererseits liiBt der Jurist sein eigenes "Rechtsgefuhl" zu Wort kommen - freilich eine (wie das "Sprachgefuhl") sehr umstrittene Instanz und gewi/3 kein eigentliches "Gefuhl".Hl16 Problematisch ist auch die Frage nach der ZuJassigkeit von Synonymen. 1m Idealzustand streben Fachsprachen besonders in der Lexik ein hochstmogliches MaB an Eindeutigkeit an und stehen so einer Synonymbildung entgegen. Doch die Realitat zeigt, daB auch in der Fachsprache des Rechts durchaus Synonyme vorhanden sind. Deutlich wird das am Beispiel fur das Delikt des § 142 StGB, fur das mindestens funf Bezeichnungen ublich sind: Fahreiflucht, Verkehrfllllcht, Uf!fal(flucht, III Miiller-Tochtennann. H.: Zur Struktur der deutschen Rechtssprache. Muttersprache Jg. 1959 (1959) H. 69. S.90. 112 Daum. u.: Rechtssprache - eine genormte Fachsprachc? S. 91. 113 Schippan, Th.: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. S. 230. 114 Fleischer, W.; Michel,G.; Stmke, G.: Stilislik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt am Main 1993. S. 111. 115 Schmalz, D.: Methoden1ehre fiir das juristische Stodimu 3. Aufl. Baden-Baden 1992. Rdnr. 139: Vgl. d.1zu auch die Ausfliluungen zu den unterschiedlichen Auslegnngsmethoden in Kap. C., S. 17 ff.. liG lelder. TIl.: Die Diszipiinierung der Sprache: Fachsprachen in unserer Zeit Tiibingen1997. S. 58. 28 Verkehnmnjal!flucht, unerlaubtes Enifernen yom Ulifallort. 1l7 Nach Ansicht von Daum besteht fur eine Normierung dann kein Bedarf, "soJange durch eine solehe Vielfalt von Bezeichnungen nicht der lrrtum entsteht, es hande1e sich urn verschiedenartige Begriffe"118. Vielmehr wiirde ein Normierung eine "Verarmung der Sprache mit sich bringen"l19. Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick plausibel. Sie birgt aber auch Gefahren in sich: Solange die BegriffsvieJfalt nur in der Kommunikation zwischen Fachleuten angewendet wird, ist sie in der Tat unbedenklich, da davon auszugehen ist, daB die Fachleute das Begriffssystem ihrer Fachsprache beherrschen. In dem Moment, wo die Begriffsvie1fa\t in der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien auftritt, kann sie zu erheblichen Verstiindnisproblemen fiihren und damit zur Sprachbarriere werden. Noch problernatischer ist die Verwendung von mehrdeutigen Wortem, vager Ausdriicke und ambiger Siitze. Die Polysemie ist solange unproblematisch, "wenn das gleiche Forrnativ a1s Terminus mit verschiedener Bedeutung in verschiedenen terminologischen Systemen auftritt. Das geschieht nicht selten, ohne daB eine Storung der Kommunikation erfolgt, wei! die fachgebundenen Darste11ungen in sich homogen sind und der auBersprachliche Systemzusammenhang die Eindeutigkeit gewiihrleistet.,,]20 Die Polysemie wird dann fragwiirdig, "wenn ein Begriff mit scheinbar gleichem Inhalt in verschiedenen Gesetzen unterschiedlich gebraucht wird, z.B. Urkunde im zivil- und strafrechtlichen Sinn"] 2] . Dabei hat sich herausgestellt, "daB nicht nur die Problematik der Vagheit, also der Unschiirfe von Ausdriicken wegen Mehrdeutigkeit der Verwendungsregeln, und der Ambiguitat, also der Mehrdeutigkeit von Satzstrukturen, eine Rolle spielt, sondem insbesondere auch die Porositiit von Ausdriicken, also die Unabgeschlossenheit ihrer durch Verwendungsregeln festgelegten Bedeutung infolge der Unabgeschlossenheit der Erfahrungshorizonte der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft.,,]22 Obwohl sich Vagheit und Ambiguitiit auch in der Rechtssprache nicht vollstiindig ausschlieBen lassen, sollte beim EriaB von Rechtsvorschriften der Text darauthin tiberprutl: werden, "ob die Vagheit von Ausdriicken eingeschriinkt und ambige Satzstrukturen vermieden werden konnen"]23. In engem Zusammenhang mit dem Vorkommen von vagen oder mehrdeutigen Begriffen steht auch die Frage nach der Verwendung von Metaphem in Fachtexten. Auf den ersten Blick scheint sich die Forderung nach Eindeutigkeit und Exaktheit in der Fachsprache, vor a11em in der Wissenschaftssprache, und die Verwendung von Metaphem auszuschlieBen. Doch bei niiherer Betrachtung liiBt sich def scheinbar antithetische Widerspruch zumindest abschwachen. Besonders die a1ten Handwerkersprachen verfilgen tiber einen reichhaitigen Schatz an Metaphem, Vergleichen und 117 118 119 120 121 122 123 Vgl. Damn, U.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91. Damn, u.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91. Daum, U.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91. Fleischer, W.; Michel, G.; Starke, G.: Stilistik der deutschen Gegenwartsspmcbe. S.I13 L Damn, U.: Recbtsspmcbe - eine genormte Fachspmcbe? S. 91. Podlech, A: Rechtslinguistik. In: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenscllaften 2. MUnchen, 1976. S. 110 f .. Podlecll, Adalbert: Rechtslinguistik. S. Ill. 29 Redewendungen, die im Laufe der historischen Entwicklungen auch stark auf die gemeinsprachliche Lexik eingewirkt haben.124 Doch auch die modemen Fachsprachen enthalten Metaphern, fur deren Verwendung Gessinger folgende Hypothese aufstellt: ,,Die Metapher ist fur die wissenschaftliche Rede immer dann ideal, wenn eine Priizision der Aussage nicht moglich ist oder der Proponent es vorzieht, auf eine mogliche priizise Formulierung seiner Aussage zu verzichten, etwa um ... die eingefahrenen Wege des gemeinen Verstandes zu verlassen."I25 Gessinger pliidiert fur den bewuBten Einsatz von Metaphern, jedoch nur fur ausgewiihlte fachsprachliche Bereiche wie die wissenschaftliche Rede: "Theoriekonstitutive Metaphem sind auf Dauerhaftigkeit angelegt und werden mit der Absicht in die Welt gesetzt, sich moglichst in allen Kopfen und Texten der Wissenschaftlergemeinschaft einzunisten. Sie werden erst dann obsolet, wenn der Tei1 der Theorie, den sie tragen, hinreichend explizit formuliert worden ist oder die gesamte Theorie selbst zur Disposition steht: 1m ersten Fall erofihet die Metapher keine neuen Perspektiven mehr, im zweiten die falschen."126 Das bedeutet, solange ein Gegenstand innerhalb einer wissenschaftlichen Theorie nicht hinreichend definiert ist, sichem Metaphem seine ,,Handhabbarkeit"127. In diesem Stadium sind Metaphem konstruktive Elemente. In fachsprachlichen Bereichen, die wie beispielsweise Gesetze direktive Funktionen haben, gilt jedoch tendenziell die gleiche Empfehlung wie fur vage und ambige Strukturen: Ihre Verwendung soUte genau iiberprUft und wegen drohender Komrnunikationsstorungen eingeschrankt werden. Auf die enge Verbindung von Umgangssprache und der Fachsprache des Rechts wurde schon eingegangen. Sie wirft auch im Bereich der Lexik Probleme auf: "Gegen die Moglichkeit einer scharfen lexikalischen Trennung von Begriffen der Rechtssprache einerseits und der Umgangssprache andererseits sprechen Alltagserfahrung und rechtstheoretische Retlexion. Die Alltagserfahrung lehrt, daB Gesetze, Rechtsverordnungen und Gerichtsurteile sich ganz iiberwiegend der aus der Umgangssprache vertrauten Begriffiichkeit bedienen."I28 Trotzdem gibt es in der Fachsprache des Rechts Termini, die nicht der Umgangssprache entspringen und beim juristischen Laien den Eindruck hervorrufen konnten, "es handele sich bei der Redeweise der Juristen eher um den Vollzug magischer Sprachrituale als um eine nachvollziehbare Begriindung rechtlicher Entscheidungen. Aber diese Begriffe bezeichnen spezifische, eng umgrenzte Rechtsfiguren, die von der Rechtsdogmatik zur Bewaltigung bestimmter Zurechnungsprobleme entwickelt worden sind. Reprasentativ fur die Sprache der Gesetze und der Gerichtsentscheidungen sind solehe Termini nicht."I29 Da es offensichtlich Termini gibt, die nur in der Rechtssprache Verwendung finden, dariiber hinaus aber 124 Vgl. Fluck, R-R: Facbsprachen. S. 162. 125 Gessinger, J.: Metnphern in der Wissenschaftssprache. In: BeitIilge zur Fachsprachenforschnng. Tostedt 1992. S.30. 126 Gessinger, J.: Methaphem in der Wissenscbaftssprache. S. 47. 127 Gessinger, J.: Methaphem in der Wissensclmftssprache. S. 45. 128 Neumann. U.: Juristische Facbsprache und Umgangssprache. In: Rechtskultur als Sprachkultur: Zur forensischen Funklion der Sprachanalyse. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1992. S. 111. 30 auch Elemente der Umgangssprache Eingang finden, stellt sich die Frage, ob ausschlieBlich die fachsprachlichen Ausdriicke der juristische Fachsprache zugeordnet werden sollen, oder ob es auch Worte gibt, "die innerhaIb der Rechtssprache sowohl aIs Ausdriicke der Fachsprache wie aIs umgangsprachliche Termini Verwendung finden k6nnen"I30. Eine Anwort auf diese Fragestellung solI in der Anwendung auf das Ehescheidungsrecht gegeben werden. b) LexikaIische MerkmaIe des Ehescheidungsrechts Auch im Ehescheidungsrecht zeigen sich im Bereich der Lexik die drei Abstraktionsstufen. Beispiele dafur sind in der Ubersicht aufgefiihrt: 131 Fachjargonismen + (einverstandliche,streitige) Ehescheidung + Trennungsjahr + Getrenntleben + (Ehegatten-, Kindes-) Halbtermini + Harteklausel + angernessenerLebensbedarf Termini + Zeniittungsprinzip + Giitergerneinschaft + Versorgungsausgleich + Leistungsfahigkeit Unterhalt + Berechtigter + Verpflichteter Tabelle4 Die anhand der im vorigen Kapitel erlauterten MermaIe hier getroffene Einteilung ist jedoch nicht unproblematisch. Einige aIs Fachjargonismen eingeordnete Beispiele wie Trel1nllng~ahr, Getrenntleben oder eiffllerstiindliche Ehescheidung werden sowohl fuchsprachlich aIs auch umgangssprachlich gebraucht, aIlerdings mit unterschiedlicher Bedeutung. Im Bereich der Fachsprache ist ihre Bedeutung genau definiert, das heiBt, eigentlich sind sie danach eher den Termini aIs den Fachjargonismen zuzuordnen. Da jedoch bei den genannten Beispielen das Kriterium der zweifachen Verwendung sowohl im fachsprachlichen a1s auch im aIlgemeinsprachlichen Bereich tiberwiegt, werden sie zu den Fachjargonismen geziihlt. Bei der Verwendung im aIlgemeinsprachlichen Bereich ist haufig die rechtswissenschaftliche Definition nicht prasent, so daB die gemeinsprachliche Bedeutung sich nur teilweise oder gar nicht mit der fachsprachlichen Bedeutung deckt. So wird oft 129 Neumann, u.: JuristischeFachsprachenndUmgangssprache. S.lII f.. 130 Neumann, u.: Juristische Fachsprache und Umgangssprache. S. 1l3. 31 von Mandanten beim Rechtsanwalt der Begriff eiffllerstdndiiche Scheidung mi13verstanden. Fiir den Rechtsanwalt miissen fur eine einverstiindliche Scheidung drei Voraussetzungen erfiillt sein: 1. Die Eheleute leben seit einem Jahr getrennt. 2. Beide Eheleute wollen geschieden werden. 3. Beide Partner einigen sich iiber die Scheidungsfolgesachen. 132 Aus Gesprachen mit Rechtsanwalten wird deutlich, daB die Mandanten eine einverstiindliche Scheidung viillig anders interpretiereno Sie verstehen darunter eine giitliche Trennung, bei der iiberhaupt keine Streitigkeiten auftreten und sind iiberrascht, wenn der Anwalt ihnen sagt, daB auch bei einer einverstiindlichen Scheidung durchaus Streitpunkte auftre1en kiinnen. Ahnliche Mi13verstiindnisse liegen beim Getrenntleben vor. Nach § 1567 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine hiiusliche Gemeinschaft besteht. Fiir viele Mandanten ist schwer vorstellbar, daB diese Bedingung auch dann erfiillt sein kann, wenn beide Eheleute noch in einer Wohnung ZlIsarnmen wohnen. Wesentliche Bedingung dafur ist, daB auch innerhalb der gemeinsamen Wohnung eine riiumliche Trennung stattgefunden hat. Noch schwerer vermittelbar ist, daB keine hiiusliche Lebensgemeinschaft auch heifit, daB beispielsweise die Frau fur ihren Mann nicht mehr die Wiische waschen und biigeln darf Auch gemeinsame Mahlzeiten sind nicht erlaubt. So entstehen Mi13verstiindnisse auf der Sacbinhaltsebene, die ZlI Kommunikationsstiirungen fiihren kiinnen. Aufgrund der sehr vagen Definition von Miiller-Tochtermann bleibt auch die Zuordnung ZlI den Halbtermini schwierig. ,,Nur noch definierbare, rein gedankliche Phiinomene,,\33 finden sich im Bereich des Ehescheidungsrechts eher selten. Miiglicherweise liegt das auch daran, daB die Materie des Ehescheidungsrechts unter sehr konkreten Voraussetzungen und mit sehr konkreten Folgen in die Rechtssphiire des einzelnen eingreift und daher eher auf juristische Fiktionen verzichten kann als andere Bereiche des Rechts. Auf echte Termini kann auch das Ehescheidungsrecht nicht verzichten und so finden sich bier viele Beispiele. Speziell der Terminus Versorgungsausgleich ist den meisten Mandanten nicht bekannt. Jedoch fuhrt dieses Nichtwissen selten ZlI Kommunikationsstiirungen, da die rechtswissenschaftliche Definition eindeutig ist und von einem guten Anwalt dem Mandanten relativ schnell erlautert werden kann. Mehr Probleme verursacht in diesem Zusarnmenhang das Ausfullen des Formblattes ZlIm Versorgungsausgleich. Viele Anwiilte sind dazu iibergegangen, diesen Antrag gemeinsam mit ihrem Mandanten auszufullen, wei! es sonst hiiufig ZlI Riickfragen kommt. Die Kritik - sowohl von Anwiilten und Mandanten - richtet sich bier gegen die Uniibersichtlichkeit, Komplexitiit und Mehrdeutigkeit des Antrages - Merkmale die haufig aufbehiirdliche Formulare ZlItreffen. Auf die Probleme der Behiirdensprache wurde in diesem Zusammenhang bereits bingewiesen. 131 Die au[geftihrlen Beispiele ergeben sich entweder direkt nus den gesetzlichen Tatbeslandsmeoonalen der §§ 1564-1590 BOB oder ans deren Anslegung in der rechlSwissenschaftlichen Literatur nnd der Rechtsprechung. 132 Dicsc Voraussclznngell ergebell sich nus § 15651 i.v.m. § 15661 BGB. 133 Vgl. das zn FuBnote 111 gehiirige Zitat, S. 26. 32 Problematisch ist auch im Ehescheidungsrecht die gewiinschte Eindeutigkeit der Tennini. Wie schon ausgefuhrt, erschlie13t sich die Bedeutung vieler Rechtstennini erst aus ihrer Auslegung. Die unterschiedlichen Auslegungsmethoden konnen zu Vagheit und Ambiguitiit und damit zu Kommunikationsstorungen fuhren. Erschwert wird dies noch durch die Rechtsprechung zu verschiedenen Sachverhalten. Viele Mandanten iibersehen, daB beispielsweise ein hOchstrichterliches Urteil nur auf den ersten Blick genau auf den eigenen Fall zutriffi. Auf den zweiten Blick ergeben sich unter Umstiinden durchaus Unterschiede, die eine Ubertragung des Urteils allenfalls analog ermoglichen oder sogar vereiteln. Diese Problematik beschriinkt sich leider nicht nur auf die Lexik., sondern durchzieht alle Ebenen der juristischen Fachsprache. Synonyme treten im Ehescheidungsrecht kaum auf Ein Beispie~ das aber keine Schwierigkeiten verursacht, ist der parallele Gebrauch von einverstiindlicher und einvernehmlicher Scheid1mg. Problematischer ist dagegen der Gebrauch von Termini, die zwar ein unterschiedliches Formativ haben, sich aber mit der gleichen Rechtsmaterie beschiiftigen, jedoch unterschiedliche RechtsfoJgen nach sich ziehen und folglich unterschiedliche Bedeutungen haben. Von den Anwiilten hiiufig genanntes Beispiel ist die VerwechsJung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Aufenthaltbestimmungsrecht fur die gemeinsamen Kinder.'34 Obwohl auch hier sowohl Formativ als auch Bedeutung unterschiedlich sind, werden beide Tennini hiiufig von Mandanten aus Unkenntnis der juristisch unterschiedlichen Definitionen gleichgesetzt. Das fuhrt teilweise zu erheblichen Verstiindigungsschwierigkeiten zwischen Anwalt und Mandant, aber auch zwischen den zu scheidenden Parteien. Metaphern finden sich in den gesetzlichen Regelungen zum Ehescheidungsrecht mit Ausnabme des Halbterminus Hlirteklausel nicht. Das Fehlen von Metaphem liil3t sich unter anderem aus der zentralen Stellung, die das BGB und seine Sprache in der Gesetzgebung einnimmt, erkliiren. Die Viiter des BGB wurden mit grundlegenden Fragestellungen konfrontiert: "Sollten sie (...) einer abstrakten Technik den Vorrang geben, als deren Vorziige begrifiliche Disziplin, piidagogische Ubersichtlichkeit, A1lgemeingiiltigkeit und innere Wahrheit und Folgerichtigkeit erschienen, und dafiir einen Mangel an Anschaulichkeit und A1lgemeinverstiindlichkeit, Blasse der ethischen Imperative und Verzicht aufvolkserzieherische Wirkungen in Kaufnehmen, oder sollten sie den umgekehrten Weg gehen, wie ihn das preui3ische Allgemeine Landrecht beschritten hatte? Sie gingen den Weg der Abstralction und begrifHichen Strenge, verzichteten daraut; das BGB zu einer "weltJichen Bibel unseres Volkes" zu machen, sprachen also den wissenschaftJichen Richter und nicht den Mann des Volkes an."135 134 Diose Tennini gehOren zwar nieht unmittelbar ZUlU Ehescheidungsrecht, aber sie sind zwangslaufige Scheidungsfolgen beim Vorhandensein gemeinsamer Kinder bei einer Ehescheidung. 135 Fotheringham, H.: Die Gesetzes- nnd Verwaltungsspraehe im Spannungsfuld zwischen filehlieher Qualitlit und A1lgemeinverstiindlichkeit S. 104. 33 Folglich finden sich auch im Ehescheidungsrecht exakte und eindeutige Fonnulierungen und keine bildhaften Vergleiche. Das ist zumindest fur den Bereich der Gesetzesanwendung unter Fachleuten zu akzeptieren. FUr die Vermitt1ung der fachlichen In.halte an Laien ist es durchaus vorstellbar, Metaphem zu verwenden, urn die Plausibilitat zu erhOhen oder sogar erst herzustellen. 2. Syntax und Morphologie a) Syntaktische und morphologische Merkmale der Fachsprache des Rechts Die Syntax fachsprachlicher Texte ist bisher nur punktuell untersucht worden. Einige Tendenzen lassen sich aber durchaus erkennen: ,,Der fachsprachliche Satzbau kann sich vom ,,Nonnalhochdeutschen" durch eine Bevorzugung von Funktionsverbgefugen, verbunden mit einer Sinnentleerung der Verben, unterscheiden.... AuBerdem hat man einen bevorzugten Gebrauch von unpersonlichen, passivischen Siitzen festgestelltl36, wenigstens in den Wissenschaftssprachen.,,137 Auffajlig ist die hiiufige Verwendung der Prasensformen des Verbs. Sie ergtbt sich nicht etwa daraus, "daB aJles WissenschaftJiche und Technische als "gegenwartig" betrachtet winl, sondem aus dem Streben nach Abstraktion und VeraJlgemeinerung. Es wird von dauerhaften Merkmalen und Eigenschaften der untersuchten Erscheinungen gesprochen, und es werden allgemeingiiltige Aussagen getroffen. ,,]30 Tendenziell gesehen ist der fachsprachliche Satzbau besonders in der Theoriesprache auf wenige Muster beschrlinkt, die meist einer strengen Thema-Rhema-Gliederung, oft mit substantivischem Anfang folgen. Typisch ist auch der Trend zur Substantivierung. 139 Beziiglich der fachsprachlichen Syntax kommt Ickier zu folgender Aussage: ,,In der neueren Fachsprachenforschung wird des ofteren erkliirt, Fachsprachen hatten auch eine eigene Syntax. Andere bestreiten es. Aber der Unterschied der Meinungen ist in Wirklichkeit nicht sehr gro3; denn die "spezifische" Syntax der Fachsprachen erweist sich meist als eine spezifische Gebrauchshiiufigkeit von syntaktischen Mustern, die durchaus auch in der Allgemeinsprache vorkommen. Nicht das Inventar oder der ,,Bestand" der Muster, sondem die Frequenz ihrer Verwendung sind also charakteristisch; ich spreche daher von ,,Frequenzspezifika" (im Gegensatz zu ,,Bestandsspezifika") der Fachsprache. ,.I 40 136 Vgl. dazu auch Matzke, B.: Die Moda1itiit der Fiiguug "seiu+ZU+Infinitiv" iujuristischen Te:-.1en. Deutsch als Fremdspmche Jg. 25 (1988) H. 2, S. 72 II.. 137 Fluck, H.-R: Fachspmchen. S. 55 f.. 138 Spmchnormen, Stil und Spmchkultur. Arbeitsberichte. 1. Anfl. Oberlungwitz 1979. S. 105. 139 Vgl. von Hahn, W.: Facbspmcben. S. 394. 140 Iclder, TIl.: Die Disziplinierung der Sprache: Fachspmchen iu unserer Zeit S. 144. 34 Die Ergebnisse bisheriger syntaktischer Untersuchungen"1 bestiitigen diese Aussage insoweit, "daB sich die syntaktischen Mittel in Fachtexten in ihrer Frequenz und Verwendungsweise von der Sprachverwendung in nichtfachbezogener Kommunikation teilweise erheblich unterscheiden und fur bestimmte Fachbereiche zu einem relativ geschlossenen System zusammenfassen lassen. Dabei herrscht die Auffassung vor, daB fachsprachliche syntaktische Erscheinungen eine Auswahl aus Strukturen der gemeinsprachlichen Syntax darstellen.,,142 Verschiedene fachsprachliche Untersuchungen haben gezeigt, daB bei der Sprachverwendung der unterschiedlichen Wortarten den Substantiven eine hervorgehobene Stellung zukommt. Sie haben auch den groBten Anteil bei der Bildung von Fachterrnini. Erganzend zu den Substantiven treten Adjektive vorwiegend mit ,,Differenzierungsfunktion"143 in Erscheinung. Verben und Adverbien werden dagegen deutlich weniger verwendet. Wesentlich sind auch Pronomina in "quantifizierender Funktion" und Konjunktionen wie wenn-so, einerseits-andererseits als ,)ogische Konstanten".144 Auf dem Gebiet der Wortbildung ist die Wortzusammensetzung "besonders produktiv"145. Wichtigstes Element ist auch hier das Substantiv. Daneben gibt es Wortableitungen, Konversionen, Entlehnungen und Kiirzungen. b) Syntaktische und morphologische Merkmale des Ehescheidungsrechts Wie bereits fur den allgemeinen Fachsprachengebrauch tendenziell festgestellt, werden in den untersuchten Paragraphen zum Ehescheidungsrecht fast durchgehend nur Prasensformen verwendet. Dieses Merkmal ist allerdings keine Spezifitiit dieser Rechtsmaterie, sondem findet sich in allen Gesetzestexten. Der Gebrauch des Priisens unterstreicht die Allgemeingiiltigkeit und Verbindlichkeit def gesetzlichen Normen. Andere Tempusformen wie zum Beispiel Perfekt und Plusquamperfekt finden sich nur, wenn Sachverhalte behandelt werden, die in der Vergangenheit liegen bzw. in der Vergangenheit abgeschlossen sind, aber Rechtsfolgen in der Zukunft hervorrufen, so beispielsweise in § 1573 IV BGB: Der geschiedene Ehegatte kann auch dann Unterhalt verlangen, wenn die Einkiinfte aus einer angemessenen Erwerbstiitigkeit wegfallen, wei! es ihm trotz seiner Bemiihungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstiitigkeit nach der Scheidung nachhaItig zu sichem. Typischerweise finden sich in den untersuchten gesetzlichen Regelungen viele Passivkonstruktionen, vor allem wenn auf die Anwendbarkeit von Paragraphen verwiesen wird. Beispiele dafur sind § 1580, 2 BGB und § 1585 I BGB: § 1605 ist entsprechend anzllwende11. ... Der 1011141 z.B. Beier, R: Zur Syntax in Fachtexten In: Fachprachen und Gemeinsprache. I. Aull. Diisseldorf 1979. S. 276-301. und Schwanzer, V.: Syntaktisch-stilistische Universalia in den wissenscllllftlichen Fachsprachen. In: Wissenschaftssprache. BeiWge zur Methodologie, theoretische Fundierung und Deskription. Miinchen 1981. S. 213-230. 142 Fluck, H.-R.: Fachsprachen. S. 204. 143 Fluck, H.-R.: Fachsprachen S. 48. 144 Fluck, H.-R.: Fachsprachen S. 49. 35 fende Unterhalt ist durch Zahlung einer Geldrente zu gewtihren. Die Rente ist monatlich im voraus Zll entrichten. Auffa11ig sind in diesem Zusammenhang die hiiufig auftretenden fonnelhaften Wendungen mit zum Tell archaischem Wortschatz, so zum Beispiel in §§ 1573 1, IV und 1574 ill: Soweil ein geschiedener Ehegatte lreinen Unterhalfsansproch ... hat, lmnn er gleichwohl Unterhalt verlangen, so/ange wui soweit er nach der Scheidung lreine angemessene Erwerbstiitiglreit zu jitulen vermag. ... Die Unterhaltsansprilche ... kbnnen zeitlich begrenzt werden, soweit ... ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsansproch unbimg ware. ... Soweit es zur Aufnahme einer angemessenen Erwerbstiitiglreit erforderlich ist, obliegt es dem geschiedenen Ehegatten, sich alISZllbilden .... Bier hat der vor fast 100 Jahren, also zur Entstehungszeit des BGB, verwendete Sprachusus seine Spuren hinterlassen, denn obwohl viele Vorschriften des BGB im Laufe der Jahre geandert wurden, finden sich an vielen Stellen noch urspriingliche Fonnulierungen, die heute liberholt und veraltet anmuten. Es stellt sich also die Frage, wie weit sich die Gesetzessprache gesellschaftlichen und sprachlichen Verilnderungen anpaBt. Die im BGB vorgenommenen Anderungen wurden liberwiegend aus sachlichen GrUnden vorgenommen: "Umfonnulierungen - nur sprachlich bedingt sind aber jedesmal mit groBen Schwierigkeiten verbunden, da neue Distributionen der Sprachelemente auch neue Auslegungsmoglichkeiten mit sich bringen."146 Mit dieser Begriindung lehnte der RechtsausschuB des Deutschen Bundestages auch eine notwendige Neufassung des § 1446 des BGB in der damaligen Fassung ab: ,,Die von dem AusschuB gewiihlte Fonnulierung entspricht der Ausdrucksweise des Biirgerlichen Gesetzbuches (vgl. § 1446ll). Der AusschuB will es bei dieser Ausdrucksweise belassen, weil er befurchtet, die Rechtsprechung konnte die neue Fonnulierung anders auslegen als die alte Fassung."l47 Interessant ist auch die auf den ersten Blick untypische Verwendung des Konjunktivs, der nicht zur angemahnten Exaktheit und Allgemeingiiltigkeit der Rechtssprache paBt. Er findet sich liberalI dort, wo nur mogliche Sachverhaltskonstellationen und ihre Rechtsfolgen behandelt werden, so in § 1582 I BGB: ,,Bei Ermittlungen des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 I unterhaltsberechtigt ware. Heitte der neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsanspruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war."14' 145 Fluck, f{-R: Fachsprachen. S. 50. 146 Oksaar, E.: Sprache als Problem und Wetkzeug des Juristen. In: Archiv fiir Rechts- und Sozialpbilosophie. Vol. 1967. S. 108. 147 Verhandlungen des deutschen Bnndestages, 2. Wahlperiode 1953. Zu Drucksache 3409, Bd 51 Schriftlicher Berichl des Ausschusses f1ir Rechlswesen und Verfassungsrecht. S. 10. 148 § 1582 I 2 BGB. 36 Beziiglich der vorkommenden Wortarten kann die Dominanz des Substantivs und Wortzusammensetzungen mit einem substantivischen Tell bestiitigt werden. Termini wie Unterhaltsberechtigung, Unterhaltsgewahrung, Versorgzmgsausgleich, Giitergemeinschqft und Zerrilttungsprinzip sind dafur beredtes Beispiel. 3. pragmatik: Textsorten und Stilistik a) Pragmatische Merkmale der Fachsprache des Rechts Bei der Beschreibung der textuellen Ebene fachsprachlicher AuBerungen ergeben sich zwei Probleme: ,Pas erste betriffi: die Situation in der Fachsprachenforschung, die bisher auf der Systemebene kaum spezifische Merkmale des Fachtextes bzw. von Fachtexten isolieren konnte. Das zweite Problem hiingt mit der Forschungssituation in der Textlinguistik zusammen; hier erscheint der Text einmal als Gr~Be des Sprachsystems, zum andern in pragmatischer Sichtweise als Ergebnis der Sprachverwendung."149 Diese Problematik bringt es mit sich, daB Mohn und Pelka zu dem Ergebnis kommen, daB ihre Bemiihungen ,,Fachsprache" "als einheitliches Subsystem innerhalb des Systems "Gesamtsprache" auszugrenzen" nicht zu einem "voll befriedigenden Ergebnis"150 gefuhrt haben. Es kommt jedoch zum Ausdruck, daB die Sprachvariante ,,Fachsprache" sich in zahlreichen mehr oder weniger unterschiedlichen Erscheinungsformen repriisentiert: ,,1m einzelnen sind uns diese in ihren konkreten Fachtexten zugiinglich, die zum einen sprachintern (systematisch-Iinguistisch) charakterisiert, zum andern auf ihre fachlich bestimmten Handlungszusammenhiinge (systematisch-situativ) bezogen werden konnen. Die unterschiedliche Kombination sprachinterner und situativer Merkmale ermogIicht eine mehr oder weniger priizise Differenzierung von Fachtexten.,,151 An dieser Stelle soli besonders auf die sprachinterne Textcharakterisierung eingegangen werden. Die systematisch-situative Kennzeichnung dagegen wird im empirischen Teil der Untersuchung eine Rolle spielen. Charakteristisch ist die explizite Kennzeichnung von Fachtexten, "da von Form und Inhalt der sprachlichen Au13erungen irn Text vielfach nicht auf die fachspezifische Funktion geschlossen werden kann"152. Solche "Deklarationsformen"153 sind beispielsweise angewandt auf die Sprache des Rechts die Richtlinie, der Verwaltungsakt, das Pliidoyer oder auch das Urteil. Fachsprachliche Texte sind hiiufig gekennzeichnet durch zahlreiche Signale fur den hohen Grad von Textdurchgliederung wie Segmentierungsformen (Kapite~ Abschnitte, Absiitze), Ziffernfolgen, Tabel1en und 149 150 151 152 Moho, D.: Pelka, R: Fachsprachell. S. 22. MaIm. D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 23. Mohn, D.; Pelka, R: Fachsprachell. S. 28. Mohn, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 22. 37 Listen. Die textue1le Kohiirenz repriisentiert sich wie folgt; die Verwendung von Proformen wird mit dem Ziel eingeschriinkt, Synonyme Zll vermeiden: ,,Ais eine Besonderheit von Fachtexten wird oft hervorgehoben, daB sie Ausdriicke in einem Mal3e wiederholen, wie es in der iiblichen Stildidaktik verpont ist. DaB die Fachlichkeit sich U.a. durch die Wahl und strikte Beibehaltung eines bestimmten Aspektes bestimmt, wirkt selbstverstl!ndlich dem synonymischen Luxus entgegen: Benennungstlexibilitiit liegt nicht im fuchlichen Interesse. Fiir eine rationalistische Semantik ist Synonymenvariation - bloB urn der Variation, der Wiederholungsvermeidung willen - ebenso "pathologisch" wie Mehrdeutigkeit (Homonymie)."I54 In fachsprachlichen Texten treten viele Verweisformen aut; die ein hohes MaB an logischer Verkniipfung zeigen wie Demonstrativa, sowohl in kataphorischer als auch in anaphorischer Funktion, und Pronominaladverbien. 155 Es existiert ein begrenztes Potential und weitgehende Konstanz der lexikalischen Referenzmittel: ,,Diese Erscheinung verweist wieder auf eine ausgepriigte Systernatik, textsemantisch auf eine Beschrankung und deutliche Abgrenzung fachlicher Inhalte."IS6 Durch typografische Mittel wie Fettdruck oder Unterstreichungen werden fachliche Begriffe "entsprechend ihrem thematisch-funktionalen Stellenwert gekennzeichnet"JS7. AuBersprachliche Mittel wie Skizzen und Diagramme ergiinzen weit mehr als in anderen Bereichen fachsprachliche Texte und stellen bestimmte Sachverhalte dar, "deren Komplexitiit sprachlich kaum oder nur auf eine aufWendige Weise Zll erfassen ist. Dariiber hinaus dienen Mittel dieser Art (z.B. Abbildungen) nicht selten zur Veranschaulichung abstrakter Aussagen."lss Die textlinguistische Untersuchung fachsprachlicher Texte ist eng verbunden mit der Textfunktion. Insoweit sei auf Kapitel E. ill. 1. Funktiolekt verwiesen, das sich im Rahmen des soziolinguistischen Ansatzes ausfiihrlich mit diesem Begriff auseinandersetzt. b) Pragmatische Merkrnale des Ehescheidungsrechts Auf die Probleme bei der Beschreibung der textuellen Ebene von Fachsprachen allgemein wurde bereits verwiesen. Dieselben Probleme treten auch im Ehescheidungsrecht auf und werden deshalb an dieser Stelle vernachliissigt. Die sprachinteme Textcharakterisierung sieht fUr die ana1ysierten Paragraphen wie folgt aus: Die explizite Kennzeichnung entspricht dem erwarteten Muster fUr gesetzliche Regelungen und ist stark normiert und systernatisiert. Dadurch kann direkt sowohl von der Form als auch yom Inhalt auf die Textfunktion (niimlich direktiv) geschlossen werden. Es finden sich aile Merkmale fUr einen hohen Grad an Textdurchgliederung durch Segmentierungsformen wie die grafische Kennzeichnung der 153 154 155 156 157 158 Maim, D.; Pelka, R: Facbsprachen. S. 22. Ickier, Th: Die Disziplinierung der Sprache: Fachsprachen in unserer Zeit S. 163. Vgl. Maim, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 22 f.. Maim. D.; PeJka, R: Fachsprachen. S. 23. Maim. D.; Pelka, R: Facbsprachen. S. 23. MOIm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 23. 38 gesetzlichen Regelungen durch